Guillaume Liégard
Am 5. Februar löste sich die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) politisch auf und veranstaltete gleich an den drei folgenden Tagen den Gründungskongress der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA).
Die neue Partei zählte zu diesem Zeitpunkt 9123 eingeschriebene Mitglieder, die sich auf 467 Basiskomitees aus ganz Kontinentalfrankreich aufteilen. Ungefähr 5900 AktivistInnen nahmen an den verschiedenen lokalen Vorbereitungstreffen für den nationalen Kongress teil, was vom aktivistischen Charakter der neuen Partei zeugt. Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass es weitere, der NPA gleichwertige Gruppen gibt, namentlich auf der Insel La Réunion und auf den französischen Antillen.
Die Gründung der neuen Partei wurde zu einem Ereignis – nicht nur in Frankreich, sondern auch für zahlreiche AntikapitalistInnen der ganzen Welt. Alle, die befürchteten, es handle sich einfach um eine Neuauflage der LCR, wurden vom Kongress der NPA eines Besseren belehrt. Wir wohnen tatsächlich einer Wesens- und Maßstabsänderung bei, es geht aber auch darum, den gleichen Kampf für die Befreiung der Menschheit unter anderen Formen fortzuführen.
An dieser Stelle macht es Sinn, auf die Gründe zurückzukommen, die dazu geführt haben, den Aufbauprozess für eine neue Partei in Gang zu bringen und etwas Ungewöhnliches zu tun, nämlich eine Organisation, die LCR, aufzulösen. Sie existierte seit 40 Jahren und befand sich aufgrund ihres gesammelten aktivistischen Kapitals, ihres Personals sowie ihrer politischen, sozialen und elektoralen Reichweite in so gutem Zustand wie nie zuvor.
Die Diskrepanz zwischen den aktuellen Tatsachen, dem Ausmaß des Klassenkampfs in Frankreich inklusive dessen Ausdruck auf der Ebene der Wahlen und der Schwäche in der Organisation der antikapitalistischen oder revolutionären Linken, brachte uns dazu, die Initiative zu ergreifen. Wir müssen beginnen, dieses Missverhältnis aufzulösen, und gleichzeitig eine politische Perspektive anbieten, die bezüglich der laufenden Umwälzungen klar ausgerichtet ist.
Seit 2002 – es soll hier nicht weiter zurückgeblickt werden – erlebten wir jedes Jahr konkrete Beweise dafür, dass die kapitalistische Politik tief abgelehnt wird und der Wille da ist, wenn auch diffus, eine politische Alternative zu suchen.
2002: Präsidentschaftswahl, fast 3 Millionen Stimmen, 10 % für die Kanditaturen von Arlette Laguiller (LO) und Olivier Besancenot.
2003: Langer Streik der BeamtInnen gegen die Rentenreform (in gewissen Sektoren bis zu drei Monate). Trotz des Schweigens der Sozialistischen Partei (PS), die im Grunde genommen hinter den Reformen steht, und trotz des Verhaltens der meisten Gewerkschaftsführungen mündete dieser Streik beinahe in einen Generalstreik. Dies wurde nur dadurch verhindert, dass der bedeutendste Gewerkschaftsverband Frankreichs, die CGT, den beginnenden unbefristeten Streik der Transportbetriebe zurückpfiff, um die Vereinigung und Ausweitung der Kämpfe zu verhindern.
2005: Ablehnung der EU-Verfassung (55 %) im Rahmen einer einheitlichen, kämpferischen Kampagne, bei der das linke Nein klar zum Ausdruck kam.
2006: Erfolgreicher Streik gegen den Versuch, einen neuen Arbeitsvertrag für jugendliche Berufsanfänger einzuführen (CPE, Ersteinstellungsvertrag). Die Mobilisierung wurde im Wesentlichen durch junge Leute getragen, wies aber über Streik- und Mobilisierungstage Anknüpfungspunkte zur gesamten Arbeiterbewegung auf.
Zu all diesen Elementen kommt im Hintergrund die Wandlung der Sozialistischen Partei hinzu, die ihre Bekehrung zum Sozial-Liberalismus immer weiter vollendet und sich in die nationalen und internationalen Institutionen eingliedert (insbesondere in die WTO mit Lamy oder in den IWF mit Strauss-Kahn).
Für die LCR ist die Periode von 2002 bis 2007 eine Aufbauphase, sozusagen eine Zeit der ursprünglichen Akkumulation. Aufgrund der Zunahme unserer Anhängerschaft seit 2002 haben wir beschlossen, die Türen unserer Organisation weit zu öffnen. Das war nicht immer leicht, manchmal wurden wir aus unseren lieb gewonnenen Gewohnheiten geworfen. Auf jeden Fall aber wurden wir gut für das gewappnet, was wir heute tun: den Maßstab ändern. Die Zunahme von 1500 auf 3000 Aktive in diesem Zeitraum hielten wir für einen echten Erfolg. Betrachtet man aber die Stellung, die wir innehatten, dann ist dies eher mager. Gemessen an den Möglichkeiten, die sich bei den sozialen Bewegungen zeigten, und an den 1,2 bzw. 1,5 Millionen erhaltenen Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 und 2007 klafft eine viel zu große Lücke zwischen dem, was wir waren, und dem, was wir verkörperten. Dieser Widerspruch konnte nicht von Dauer sein, ohne Initiative von unserer Seite wäre es unsere Reichweite gewesen, die sich unserer Realität angepasst hätte, nicht umgekehrt.
Das Resultat der Präsidentschaftswahl von 2007 sollte zum Auslöser werden. Die Wahl von Nicolas Sarkozy bedeutet einen Wechsel der politischen Verhältnisse. Mit knapp 53 % der Stimmen befindet er sich am Ziel einer Kampagne, die sehr rechtslastig geführt wurde und offen im Umfeld des Front National agierte. Die Sozialistische Partei, die 2002 den zweiten Präsidentschaftswahlgang verfehlte, mobilisiert nun mit dem Argument der nützlichen Stimmabgabe, und ihre Kandidatin weicht der Schlüsselfrage dieser Wahl aus, nämlich der Frage der Kaufkraft.
Wir erzielen einen relativen Erfolg mit 4,1 % oder 1,5 Millionen Stimmen. Vor allem die anderen KandidatInnen links der PS bleiben auf der Strecke, mit 1,9 % für die Kandidatin der Kommunistischen Partei und 1,4 % für Lutte Ouvrière.
Daraus folgt: In Anbetracht der sozialen und politischen Umstände und als Teil der Führung tragen wir, die Leitung der LCR, besondere Verantwortung. Die Erfahrungen von Lutte Ouvrière sind auch eine Lehre: Zweimal, 1995 und 2002, überschritt ihre Kandidatin die Hürde von 5 % – und dann kam nichts mehr. Ab einem gewissen Stadium müssen die geweckten Erwartungen ansatzweise erfüllt werden. Anderenfalls kommt es zu großer Enttäuschung. Um dauerhaft zu bestehen, bedarf es eines alternativen Projekts und einer kollektiven Kraft, um es umzusetzen, kurz: einer Partei. Und diese Partei kann nicht die LCR sein. Sie besitzt eine historische Prägung, den Trotzkismus, und sie ist das Produkt einer bestimmten, aus den 1970er-Jahren stammenden Vorstellung von dem, was eine Organisation der radikalen Linken ist. Deshalb kann die LCR, selbst wenn sie sich stark verändert hat, keine passende Antwort sein.
Im Juni 2007, anlässlich des Treffens unserer nationalen Leitung, nehmen wir unsere Verantwortung wahr und rufen zur Gründung einer neuen antikapitalistischen Partei auf.
Der Wunsch, eine neue Partei zu bilden, ist nicht neu. Unter der Synthese „Neue Phase, neues Programm, neue Partei“ befassen wir uns seit 1992 mit diesem Projekt. Die Perspektiven blieben anfangs jedoch ziemlich abstrakt. Insbesondere die Suche nach Partnern, die Voraussetzung für jeglichen Fortschritt, blieb zumindest fruchtlos.
Mit diesem Aufruf treffen wir eine gewagte Entscheidung, die in ihrer Art wohl noch nie da gewesen ist.
An erster Stelle stehen die Grundsätze des Projekts, denn unser Aufruf basiert auf einer klaren antikapitalistischen Ausrichtung. Folglich kann unser Projekt den Rahmen schaffen, um all jene in einer Partei zu vereinigen, die den Willen zum Umsturz des Systems noch nicht aufgegeben haben. Wir grenzen uns dadurch ab, dass wir dieses System der Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung der globalen Ressourcen abschaffen wollen. Es gibt zweifellos noch andere Projekte links der Sozialistischen Partei, aber jenseits programmatischer Aspekte stellt sich als zentrales Problem die Frage, ob mit den Sozial-Liberalen Bündnisse eingegangen und Institutionen geleitet werden oder nicht.
Die logische Folge oder sozusagen die praktische Umsetzung dieses Antikapitalismus ist die strikte Unabhängigkeit gegenüber der Sozialistischen Partei (PS). Dies bedeutet insbesondere, dass mit ihr keine Abkommen über die Führung von Institutionen getroffen werden. Dies betrifft natürlich die Ebene der Regierung, aber auch Zwischenebenen wie die Departements oder Regionen.
Diese Positionierung ist – wir wissen es – ein casus belli für zahlreiche Organisationen, die ihre anti-liberale Haltung betonen. Namentlich trifft dies auf die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) zu. Im Jahr 2009 präsentiert sie sich mit der Linkspartei [1] von Jean-Luc Mélenchon für die Europawahlen, alles in allem auf ziemlich dürftigen Grundlagen. Doch, um ihre Positionen in den Kommunen halten zu können, strebte sie vor einem Jahr ein systematisches Zusammengehen mit der PS an, auch auf die Gefahr hin, in vielen Städten ein Bündnis mit dem MoDem [2] einzugehen. Und jetzt kündigt die PCF bereits an, mit der PS ein Bündnis für die Regionalwahlen von 2010 anzustreben. Bleibt anzumerken, dass die PCF in 17 von 22 Regionen Teil der Exekutive ist.
Die Erfahrungen, die auf internationaler Ebene, zum Beispiel in Brasilien und Italien, gemacht wurden, oder allein schon die niederschmetternde Bilanz der verschiedenen Regierungsbeteiligungen in Frankreich (Linksunion, Plurale Linke …) zeigen, dass die Unabhängigkeit gegenüber der PS absolut notwendig ist. Diese Bedingung zieht allerdings Konsequenzen nach sich: Im politischen Umfeld links der PS gibt es in Frankreich keine nationalen Partner, um das Projekt mit der LCR umzusetzen. Sei es aufgrund der Abhängigkeit gegenüber der PS wie bei der Kommunistischen Partei, sei es aufgrund von Sektierertum wie bei Lutte Ouvrière. Diese Organisation hat sich in den letzten Jahren bemerkenswert positioniert: Nachdem sie bei den Kommunalwahlen von 2008 einen hemmungslosen Opportunismus entwickelte, nur um gewählt zu werden, und manchmal Bündnisse mit den schlimmsten Teilen der französischen Sozialdemokratie einging (zum Beispiel Verbindung mit den Guérini-Listen beim ersten Wahlgang in Marseille), will sie bei den Europawahlen eine marxistisch-revolutionäre Strömung festigen. Eine Konstante gibt es jedoch, nämlich weder gestern mit der LCR noch heute mit der NPA zusammenzuarbeiten.
Das Fehlen von Partnern entspricht nicht unserem Wunsch. Die Existenz einer anderen engagierten Organisation hätte uns das Leben in vielerlei Hinsicht vereinfacht – insbesondere wenn uns der bisweilen böswillige Vorwurf gemacht wurde, wir würden nur eine Neuauflage der LCR planen. Da wir von der politischen Dringlichkeit und der Chance voranzukommen überzeugt sind, haben wir beschlossen, den Start des Prozesses und den Aufbau von unten nicht davon abhängig zu machen, ob ein Bündnis mit der einen oder anderen Organisation vorhanden ist.
Diese Haltung bedeutet zweifellos eine Kehrtwendung gegenüber den früheren politischen Bemühungen der LCR, einen Ausweg aus der Krise der Arbeiterbewegung zu finden. Aber sie hat auch mit einer Veränderung unserer Stellung zu tun, zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen der Umgruppierung und dem Wiederaufbau der Arbeiterbewegung. Es geht nicht darum, mit der Vergangenheit zu brechen. Viele Bereiche der Politik, Gewerkschaften, Verbände können Anknüpfungspunkte für den Aufbau einer antikapitalistischen Partei sein –selbstverständlich unter der Bedingung, dass die organisatorische Trägheit nicht jegliches Vorankommen behindert und dass das Alte nicht das Neue erstickt. Um Neues zu schaffen, braucht es auch Neues … In diesem Sinne versteht sich unser Aufruf.
Die Mobilisierungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass es neue AktivistInnen und Schichten der Lohnabhängigen gibt, die engagiert und radikal sind. Mit unserem Aufruf bieten wir die Möglichkeit, den Aufbau einer politischen Alternative konkret voranzubringen.
Der Zeitraum von Juni 2007 bis zum XVII Kongress der LCR im Januar 2008 ist geprägt durch die Einigung innerhalb der LCR und durch erste Erfahrungen der Komitees für eine neue Partei.
Nach dem Aufruf der nationalen Leitung gilt es zuerst, möglichst viele Aktive der LCR um das Projekt zu scharen. In unserer nationalen Leitung zeichnet sich eine breite Einigung ab, denn vier der fünf Strömungen von Januar 2006 sind darin vertreten. Nun muss sichergestellt werden, dass die Organisation von der Lancierung des Prozesses wirklich überzeugt ist. Um ein solch ehrgeiziges Projekt umzusetzen, genügt eine komfortable Mehrheit nicht, sondern es braucht breitestes Einverständnis und Begeisterung der AktivistInnen. Obgleich es nicht immer einfach war und es Zeit für Diskussionen und Überzeugungsarbeit bedurfte, unterstützen im Januar 2008 rund 83 % der LCR-AktivistInnen die neue Ausrichtung.
Gleichzeitig beweisen uns die Fortschritte und Erfolge unserer ersten Erfahrungen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Vorstellung, die wir vom Aufbau einer neuen Partei hatten, wird real, manchmal sogar mehr, als wir zu hoffen wagten.
Der Prozess kann hier nicht in allen Einzelheiten beschrieben werden, am besten konsultiert man dazu das Buch von François Coustal. [3] Schon die ersten Erfahrungen beinhalten jedoch alle Elemente, die den Erfolg der Komitees für eine neue Partei ausmachen.
Das erste Element ist die Ausweitung der sozialen Verankerung, die überhaupt nicht mit den bisherigen Möglichkeiten der LCR verglichen werden kann. Von Anfang an engagieren sich Gewerkschaftskader, darunter auch solche von Departementsverbänden. Dies ist insbesondere in Marseille der Fall, wo die LCR den Prozess anstößt, aber auch in der Region Mulhouse (Oberrhein), wo – das muss man betonen – die Sache völlig unabhängig von uns läuft. In beiden Fällen entspricht das NPA-Projekt den Anliegen lokaler Gruppen oder Strömungen, die einen ganz unterschiedlichen Werdegang aufweisen, den LCR-Aufruf aber zu ihrer Sache machen.
Das zweite Element, das sich nie als falsch erwiesen hat, ist der Durchbruch öko-sozialistischer Anliegen. Innerhalb der LCR gab es eine Ökologie-Kommission, die während der letzten Jahre sehr gewissenhaft gearbeitet und produziert hat. Heute aber zeigt sich klarer denn je, welche Bedeutung der ökosozialistischen Dimension zukommt: Sie ist nicht mehr ein Zusatz, sondern etwas, das übergreifend sein muss.
Das dritte, zwar sehr reale, zurzeit aber noch in den Kinderschuhen steckende Element ist die bessere Verankerung in den „Problemvierteln“. Der Erfolg dieser Arbeit ist noch unsicher, es handelt sich dabei aber um einen echten Bruch mit der soziologischen Realität der LCR, auch wenn das Anliegen schon früher existierte.
Mit dem Zustandekommen einer großen Mehrheit von 83 % und gestützt auf die erfolgreichen ersten Erfahrungen, entscheiden wir auf dem Kongress der LCR, mit voller Kraft weiterzugehen. Mit dem Festlegen eines Datums für die Gründung der neuen Partei, Ende 2008/Anfang 2009, das heisst mit dem Festlegen eines Datums für die Auflösung der LCR, treffen wir eine irreversible Entscheidung, das wissen wir.
Im Jahr 2008 schreitet sowohl der Prozess zur Bildung der NPA, als auch zur Auflösung der LCR voran. Nach Abschluss der Kommunalwahlen, die für die LCR sehr erfolgreich ausfallen, tauchen über ganz Frankreich verteilt Dutzende neuer Komitees auf. Doch während innerhalb kurzer Zeit 300 bis 350 Basiskomitees entstehen, bleibt die Leitung der LCR die einzige nationale Struktur, um den Prozess zu steuern. Deshalb schlagen wir vor, Ende Juni 2008 ein erstes nationales Treffen der Komitees zu veranstalten. Es soll eine erste Begegnung der verschiedenen Komitees ermöglichen und verfolgt zwei Ziele: Einerseits will man über einen Aufruf verfügen, der nicht mehr von der LCR stammt, sondern von den versammelten NPA-Komitees bzw von der entstehenden Partei; andererseits geht es darum, ein nationales Team auf die Beine zu stellen, dessen Aufgabe es ist, die Gesamtheit der Komitees bis zum Gründungskongress zu führen.
Das Vorhaben ist voll geglückt und übertrifft ehrlich gesagt unsere Erwartungen. Achthundert Delegierte von 330 bis 350 Komitees verabschieden einen neuen Aufruf und setzen das Collectif d’Animation National (CAN) ein, das die nationale Aktivität der Komitees bis zum Gründungskongress leitet. Die LCR beschließt nebenbei bemerkt, innerhalb des CAN eine Minderheit zu bleiben.
Die Aufgabe des CAN, das sich erstmals Anfang Juli und dann während der Sommeruniversität im August getroffen hat, ist nicht zu unterschätzen. Es muss dafür sorgen, dass erste Textprojekte starten und demokratische Diskussionen mit den AktivistInnen und Komitees organisiert werden. Es beginnt also ein echter Aufbauprozess, mit einem Hin und Her zwischen dem CAN und den Komitees. Hunderte von Änderungsanträgen werden gestellt, ein nationales Treffen der Komitees im November mündet schließlich in eine neue Synthese der drei Texte, die danach wieder zu den Komitees zurückgehen … und wiederum hunderte von Änderungsanträgen auslösen. Dieses Vorgehen erlaubte es, den Texten von allen am Prozess beteiligten Aktiven wirklich gerecht zu werden. Um ein gemeinsames Projekt herum konnten so unterschiedliche Geschichten, Werdegänge und Erfahrungen zusammengekittet werden.
Um Texte herum, aber auch um eine gemeinsame Praxis herum. Als Partei von AktivistInnen realisiert die NPA ihre verschiedenen Interventionen in Abhängigkeit von ihrer eigenen Entwicklung. Das bisherige aktivistische Vorgehen der LCR wird schrittweise durch jenes der verschiedenen Komitees für eine neue Partei ersetzt. De facto haben die verschiedenen Sektionen oder Zellen der LCR im Verlaufe des Herbsts ihre politische Intervention eingestellt, ihre Versammlungen dienen nur noch dazu, den rasch herannahenden Auflösungskongress vorzubereiten.
Nach dem Auflösungskongress der LCR am 5. Februar, der eine sehr große Mehrheit von 87 % ergab, wurde der Kongress der NPA eröffnet – Abschlusspunkt eines langen Gründungsprozesses. Der ernsthafte Charakter und die Anwesenheit von mehr als 1000 Personen im Saal, darunter 650 gewählten Delegierten, wurden weithin zur Kenntnis genommen. Die Art und Weise, wie die verschiedenen Kommissionen sich in Hunderte von Anträgen zu jedem der drei Texte (Grundprinzipien, Statut, Orientierung) vertieft haben, wird als eine fast beispiellose Übung in direkter Demokratie gesehen.
Es ist nicht möglich, alle Entscheidungen des Gründungskongresses der NPA nachzuzeichnen. Wir weisen darauf hin, dass alle angenommenen Texte und eine Vielzahl von Videos, die auf dem dreitägigen Kongress aufgenommen wurden, auf der NPA-Website bereitstehen. [4] Aber wir geben, weil eine Partei klassischerweise vor allem ein Programm ist, kurz einige Elemente aus dem wieder, was wir die „Gründungsprinzipien“ genannt haben.
Die NPA definiert sich nicht als eine revolutionäre Partei, sondern als eine Partei, die die „Gesellschaft revolutionieren“ will. Einige haben darin nur eine semantische Schlitzohrigkeit gesehen, aber die Realität ist eine andere. Tatsächlich verbergen sich hinter dem Begriff der revolutionären Partei mehrere Auffassungen. Für die einen, und das ist im weitesten Sinne das von den meisten geteilte Einvernehmen, stehen hinter dem Begriff „Revolution“ die Erfahrungen der französischen Revolution, der Pariser Commune und sogar die Erfahrungen vom Juni 1936 und vom Mai 1968. Für den revolutionär-marxistischen Flügel, der der LCR angehörte, ging die Definition noch weiter: Eine revolutionäre Partei ist eine Partei, die ein Programm und eine Strategie hat, um die Revolution zu machen. Unter diesen Bedingungen und im Hinblick auf unser Projekt erlaubt „die Gesellschaft revolutionieren“, ein Lager derer zu definieren, die nicht aufgegeben haben, das System umzuwälzen, ohne sich jedoch weiter in strategische Hypothesen zu vertiefen.
Umgekehrt sind die Grundprinzipien klar vom Marxismus inspiriert, einschließlich ihres Verhältnisses zur Kernfrage der Natur des Staates. Unser Programm bringt zum Ausdruck, dass der Staat und seine Institutionen Instrumente der Bourgeoisie sind und nicht in den Dienst einer politischen oder sozialen Transformation gestellt werden können und deshalb umgestürzt werden müssen.
Die NPA ist auch eine Partei, die für den Sozialismus kämpft: „Die einzige Antwort auf die globalisierte Krise des Kapitalismus ist der Kampf, von dem die Zukunft der Menschheit abhängt, der Kampf für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts – demokratisch, ökologisch und feministisch“, sagen unsere Grundprinzipien. Nach einigen Schwankungen zwischen „Sozialismus“, „Ökosozialismus“ und „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ war es der letztgenannte Ausdruck, der nach einer Abstimmung gewählt wurde. Aber die ökologische Dimension ist stark präsent mit der fundamentalen Feststellung, dass es einen Kampf für den Sozialismus nur geben kann, wenn der Planet weiter existiert …
Die Neue Antikapitalistische Partei wird getreu ihren Grundprinzipien ihre eigene Politik und ihre eigenen internationalen Beziehungen haben. Aber weil sie eine wirklich internationalistische Partei ist, weil es keine Entwicklung antikapitalistischer Kräfte in Frankreich geben kann ohne Entsprechungen in Europa und der Welt, verfolgt die NPA selbst ein Projekt der Sammlung antikapitalistischer Kräfte. Die Schlussfolgerung unserer Grundprinzipien ist zu diesem Thema übrigens explizit: „Unsere Partei ist bestrebt, Bindungen mit allen Kräften einzugehen, die weltweit gegen den Kapitalismus kämpfen“. Deshalb engagiert sich die NPA im Dialog und der politischen Zusammenarbeit mit anderen antikapitalistischen und revolutionären Kräften weltweit in der Perspektive des Aufbaus einer neuen Internationale.“
Trotzdem gibt es natürlich in der praktischen Umsetzung, in den Entscheidungen und der Wahl der Aufbaumethoden viele Elemente, die tief in der sozialen und politischen Realität Frankreichs und in der Art und Weise, wie das politische Lager Frankreichs aufgebaut ist, verwurzelt sind. Dies ist und kann also kein allgemeingültiges Modell sein.
Nun stimmt es, dass eine gewisse Unruhe entstanden ist, sowohl innerhalb der ehemaligen LCR als auch innerhalb des Rests der IV. Internationale. Die Entscheidung der LCR, sich aufzulösen, ist angesichts ihrer Bedeutung in der Internationale nicht ohne Konsequenzen. Die NPA ist nicht und heißt nicht französische Sektion der IV. Internationale. Dennoch gibt es mit der NPA, selbst nach Auflösung der Ligue, mehr Raum und mehr Einfluss für die IV. Internationale.
Die bedeutende Anwesenheit ausländischer Delegationen auf dem Gründungskongress reicht, um dies zu zeigen: mehr als 100 Personen von 70 Organisationen aus 45 Ländern auf fünf Kontinenten. Eine solche Anziehungskraft war nur möglich, weil das NPA-Projekt eine solche Dynamik trägt, die eine große Zahl von Organisationen und Strömungen weltweit interessiert. Aber ohne die Existenz der IV. Internationale und ihrer Ressourcen wäre nichts von alledem möglich gewesen.
Der Gründungskongress war ein großer Erfolg. Mit mehr als 9 000 Mitgliedern ist die NPA schon heute eine Kraft, die in der politischen Landschaft Frankreichs Gewicht hat. Doch auch wenn der Kongress ein wichtiger Schritt war, so ist er doch nur ein Schritt auf dem Weg des Aufbaus und der Entwicklung unseres Projekts. Die Dynamik setzt sich fort, und in den drei Wochen nach Gründung der NPA haben wir mehr als 3 000 Aufnahmeanträge und Kontaktanfragen erhalten. Die Realität der neuen Partei, ihre Dynamik und die Entwicklungen der Krise des Kapitalismus müssen zu neuen Klärungen innerhalb wichtiger Sektoren der französischen Arbeiterbewegung führen.
Vor allem wächst angesichts der tiefen Welt-, Finanz-, Wirtschafts-, Nahrungsmittel- und Umweltkrise und angesichts der katastrophalen sozialen Folgen der internationalen Rezession die soziale Wut immer weiter an. Schon jetzt entwickeln sich wichtige Mobilisierungen: 2,5 Millionen Menschen auf den Straßen am 29. Januar, der „verlängerbare Streik“ [5] des Hochschulpersonals und vor allem der Generalstreik auf Guadeloupe und Martinique.
Kaum gegründet, entwickelt die NPA eine Einheitsfrontpolitik in alle Richtungen. Auf ihre Initiative hin entstand ein gemeinsamer Text von 11 linken Organisationen, der zur Fortsetzung der Mobilisierungen nach dem Erfolg der Demonstrationen vom 29. Januar und zur Unterstützung des Kampfs auf Guadeloupe aufrief. Ein Werkzeug in den Kämpfen mit größtmöglicher Einheit zu sein, ist das Gebot der Stunde. Aber parallel verteidigt die NPA ihre eigenen Positionen, vor allem die einer Einkommenssteigerung von 300 Euro für alle, mit wachsendem Echo. Der von der LKP auf Guadeloupe durchgeführte beispielhafte Streik zeigt, dass solche Forderungen nicht nur nötig sind und ein großes Echo bei den Massen finden können, sondern auch dass Teilsiege möglich sind.
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Auch die nächsten Europawahlen im Juni 2009 sind ein wichtiges Stichdatum. Vor allem weil diese Wahlen von den ernsten sozialen Folgen der kapitalistischen Krise geprägt sein werden. Angesichts des Höhenflugs der Arbeitslosigkeit und der Pläne für weitere Entlassungen muss ein Projekt verteidigt werden, das mit der Art des europäischen Aufbaus seit den römischen Verträgen von 1957 und mit dem kapitalistischen System klar und dauerhaft bricht. Es kann keine Wahltaktik für gerade Jahre und eine andere für ungerade Jahre geben. Das ist nicht nur lächerlich im Hinblick auf die Tiefe der sozialen und politischen Krise, die die Hoffnungslosigkeit massiv fördert und das Entstehen einer wirklichen politischen Alternative verhindert. Umgekehrt ist es bei diesen Wahlen zweifellos möglich, mit dem Aufbau einer Sammlung antikapitalistischer Kräfte in Europa zu beginnen. Eine Sammlung, die zu diesem Zeitpunkt sicher noch partiell und begrenzt, aber doch ein erster Schritt vorwärts wäre.
Die antikapitalistische Stimmung und die Suche nach einer politischen Alternative zu diesem absurden System entwickeln sich in all diesen Ländern. Nun aber verlassen wir diese Phase voller Unsicherheiten mit einem neuen Werkzeug, das durch sein Programm und seine Positionierung einen Teil der Hoffnungen auf einen radikalen Bruch mit dem System vereinigen kann. Werden mit der NPA nun alle Fragen beantwortet, die sich heute stellen? Die Antwort ist natürlich nein. Perspektive bleibt eine antikapitalistische Massenpartei, die in der Lage ist, ein anderes soziales und politisches Kräfteverhältnis zu schaffen. Das wird zweifellos Zeit beanspruchen, selbst wenn Elemente der Beschleunigung unter den gegebenen Umständen alles andere als ausgeschlossen sind.
Doch stellen wir die Frage anders: Haben wir mit der Gründung der NPA einen wichtigen Schritt getan, einen Treppenabsatz bei der Realisierung unseres Ziels erreicht? Das ist unbestreitbar der Fall. Die Dynamik um die NPA herum zu verstärken, in der Lage zu sein, neue Erfahrungen der französischen Arbeiterbewegung aufzunehmen, und vor allem den Schwerpunkt auf unsere Praxis und Forderungen zu den kommenden Mobilisierungen zu setzen, das sind die nächsten Aufgaben. Diese Aufgabe wird keine leichte sein, aber sie löst großen Enthusiasmus aus, und wir sind bereit.
Guillaume Liégard, ehemaliges Mitglied des Politischen Büros der Ligue Communiste Révolutionnaire und vom ersten Kongress der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) in ihren nationalen politischen Rat gewählt, ist Mitglied des Internationalen Komitees der IV. Internationale. Übersetzung: Alena Wehrli und B. Mertens |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 450/451 (Mai/Juni 2009). | Startseite | Impressum | Datenschutz