Europäische Union

Nach dem Brexit – eine EU-Kritik von links

In der Kampagne vor dem Referendum konnten die Rechten weitgehend den Ton bestimmen. Aber das Brexit-Votum offenbart wie kaum ein anderes Ereignis die tiefe Krise der EU und gibt der Linken eine gute Chance, offensiver gegen die EU-Institutionen anzugehen.

Socialistisk Arbejderpolitik (SAP)

Im Ausgang des Referendums zum Ausstieg Großbritanniens kommt der Protest der Arbeiterklasse gegen die herrschenden Klassen in der EU zum Ausdruck. Die Linke sollte dies zum Anlass nehmen, uns an vorderster Front gegen die EU zu wenden, die als Drehscheibe für Sozialdumping und Aufweichung der steuerfinanzierten sozialen Sicherungssysteme und der demokratischen Rechte fungiert, alle Ansätze, mit der neoliberalen Politik Schluss zu machen, unterbindet und außerstande ist, auf die Klimakatastrophe zu reagieren. Wenn sich nicht die Linke an die Spitze dieser Auseinandersetzung stellt – auf einer antirassistischen und internationalistischen Basis – dann werden mehr oder weniger rassistische Kräfte auf der extremen Rechten davon profitieren.

Der Mehrheitsentscheid für den Brexit hat die europäische Bourgeoisie aus der Spur geworfen. Zwar erleben wir seit Jahren einen massiven Widerstand unter der Bevölkerung verschiedener Länder gegen die Entwicklung der EU, was wiederholt in den jeweiligen Referenden zur europäischen Frage zum Ausdruck kam, aber wir haben uns daran gewöhnt, dass die Maschinerie ohne Rücksicht auf den demokratischen Willen der Völker weiterläuft. Insofern ist es bezeichnend, dass jetzt Cameron dafür kritisiert wird, dass er mit dem EU-Prozess „gespielt“ habe, indem er den Verbleib in der EU einem demokratischen Votum unterzogen hat.

Mit Blick auf die Demokratie ist der Umstand, dass mit dem Brexit dieser Prozess – wenn auch nur in einem Land – kurzgeschlossen werden konnte, ein gewaltiger Erfolg, so wie jede Krise der EU stets einen Sieg für die Arbeiterklasse darstellt.


Soziale Frage vs. Rassismus


Dafür, dass sich die englische Arbeiterklasse massenhaft gegen die EU ausgesprochen hat, gibt es hingegen eher soziale als demokratische Gründe. Denn die EU ist – wie in den anderen Mitgliedsländern – Symbol und zugleich wesentlicher Handlungsträger der massiven neoliberalen Pressionen, mit denen die Sparpolitik und die explodierende ökonomische Ungleichheit durchgesetzt werden sollen. Die hohe Zahl von ArbeitsimmigrantInnen aus Osteuropa und die starke Arbeitslosigkeit drücken erheblich auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen, zumal seit Thatcher die vormals starke Gewerkschaftsbewegung erheblich geschwächt ist. Hinzu kommt, dass die Tory-Regierung das steuerfinanzierte soziale Sicherungssystem abgebaut hat, bspw. durch hohe Studiengebühren, und sich dabei stets auf die Freizügigkeit der Lohnabhängigen innerhalb der EU beruft.

In der Kampagne zum britischen Referendum konnten die fremdenfeindlichen Kräfte der Rechtspopulisten weitgehend die Tagesordnung bestimmen. Statt vereint die kapitalistische und unternehmerhörige EU zu bekämpfen, deren arbeiterfeindliche Politik die Lohnabhängigen der Länder zugunsten des Kapitals gegeneinander ausspielt, hat ein großer Teil der Arbeiterbewegung und der Linken dieses Problem heruntergespielt und für den Verbleib in der EU geworben. Ausschlaggebend war bei einigen ausgerechnet die Befürchtung, sie könnten durch den Aufruf zum EU-Austritt einer nationalistischen und fremdenfeindlichen Agenda das Wort reden und die Arbeitsplätze der Arbeitsimmigranten gefährden. Am Ende jedoch wurde die Brexit-Kampagne durch die fremdenfeindliche UKIP dominiert, die sich nun als der große Gewinner des Referendums fühlen darf.


Für eine linke Offensive!


Doch lassen wir die Vergangenheit ruhen. Jetzt geht es darum, eine Antwort auf die Krise der EU zu finden. Sollen wir uns angesichts der Tatsache, dass gegenwärtig die nationalistischen und fremdenfeindlichen Parteien in den meisten Ländern die Opposition zur EU anführen, zurücklehnen und auf bessere Zeiten warten? Oder sollen wir weiter und noch intensiver gegen die EU als Institution kompromisslos kämpfen und die jetzt dargebotene Gelegenheit nutzen, um dieses Herzstück der neoliberalen Angriffe auf die Arbeiterklasse auseinanderfallen zu lassen?

Zweifellos müssen wir uns für die zweite Variante entscheiden. Sich raus halten war noch nie eine erfolgreiche Strategie, die extreme Rechte daran zu hindern, nach der Macht zu greifen. Wenn die Linke nicht das System bekämpft und eine plausible Alternative anbietet, überlässt sie die berechtigte Wut und den Widerstand der Propaganda der extremen Rechten und riskiert gar, als indirekter Fürsprecher dieses verrotteten Systems dazustehen. Und wenn dann das System zusammenbricht, sind es die rechten Kräfte, die die Oberhand haben.

Dasselbe gilt für die gegenwärtige Lage: Wenn die Linke nicht unmissverständlich für die Zerschlagung der EU des Großkapitals eintritt, dann werden UKIP, Le Pen, AfD, Dänische Volkspartei und Konsorten von den Protesten profitieren und am Ende damit gar durchkommen.

      
Mehr dazu
Catherine Samary: Kein „Lexit ohne „Ein anderes Europa ist möglich“, Inprekorr Nr. 6/2016 (November/Dezember 2016)
Phil Hearse: GB und der Brexit: Dichtung und Wahrheit, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016)
Galia Trépère: Für ein anderes Europa ohne Grenzen und Ausbeutung, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016)
Jakob Schäfer: Die EU nach dem Brexit - in einer politischen Krise oder in einer unlösbaren Strukturkrise?, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016)
Büro der Vierten Internationale: Brexit: Für Einheit und Solidarität in Europa, gegen Rassismus und Sozialdumping, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016) (nur online)
Erklärung von Socialist Resistance: Der Brexit-Sieg ist ein Desaster, aber der Kampf geht weiter, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016) (nur online)
Terry Conway: Wird Großbritannien für den EU-Austritt stimmen?, Inprekorr Nr. 3/2016 (Mai/Juni 2016) (nur online)
Erklärung der Europäischen Antikapitalistischen Linken: Ein anderes Europa ist möglich! Nein zu der Verfassung der multinationalen Konzerne!, Inprekorr Nr. 400/401 (März/April 2005)
François Sabado: Den Angriffen des Kapitals entgegentreten!, Inprekorr Nr. 400/401 (März/April 2005)
François Vercammen: Gegen EU und Euro – für ein anderes Europa, Inprekorr Nr. 308 (Juni 1997)
 

Eine linke Alternative zur EU


Demnach muss es für die gesamte europäische Linke vordringlich sein, an vorderster Stelle gegen die EU als Institution zu kämpfen wie auch gegen deren Politik:

Natürlich müssen diese Forderungen in den Parlamenten dargelegt werden, aber an vorderster Stelle gilt es, unverzüglich eine Bewegung aufzubauen, die dafür eintritt. Solche Bewegungen müssen in allen Ländern entstehen, auf der Basis internationaler Zusammenarbeit und grenzübergreifender Solidarität für ein alternatives Programm zu Europa. Erste vielversprechende Ansätze gab es bereits in der Flüchtlingssolidarität, im Kampf gegen den Klimawandel oder bei bestimmten gewerkschaftlichen Ansätzen.

Der legitime Widerstand der Völker gegen die kapitalistische EU, der sich unter verschiedenen Aspekten von Nord bis Süd ausbreitet, darf nicht den Parteien der fremdenfeindlichen Rechten überlassen bleiben, da diese in keiner Weise die Interessen der Arbeiterklasse vertreten, sondern deren Gegenteil. Glücklicherweise gibt es Anzeichen, dass auch die Linke im übrigen Europa ihre Illusionen über die Reformierbarkeit der EU verliert und zunehmend erkennt, dass ein „Plan B“ erforderlich ist, nämlich eine Alternative, sobald der Austritt aus der EU ansteht.

Die europäische Linke muss ihre Stelle als Avantgarde im Kampf gegen die kapitalistische und neoliberale Maschinerie mit dem Namen EU wiederfinden.

Kopenhagen, 2. Juli 2016
Erklärung des Exekutivkomitees der SAP, dänische Sektion der IV. Internationale
Übersetzung MiWe



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016). | Startseite | Impressum | Datenschutz