Trumps Vorschlag, den Gazastreifen von Palästinenser:innen zu säubern, hat eine unterschwellig in der jüdisch-israelischen Gesellschaft vorhandene Stimmung aufgegriffen und verstärkt.
Meron Rapoport
Trumps Plan gefährdet jede Chance auf eine friedliche Zukunft in der Region. Im September 2020, gegen Ende seiner ersten Amtszeit als Präsident, besiegelte er die Unterzeichnung der Abraham-Abkommen zwischen Israel, den VAE und Bahrain auf dem Rasen des Weißen Hauses. Die Abkommen, denen in den folgenden Monaten auch der Sudan und Marokko beitreten sollten, wurden als „Friedensabkommen“ gepriesen, doch wäre es zutreffender gewesen, sie als „Abkommen zur Ausgrenzung des palästinensischen Volkes“ zu bezeichnen. Ihr Ziel war nicht, Frieden zu schaffen – zwischen diesen Staaten gab es gar keinen Krieg –, sondern vielmehr neue Fakten in der Region zu schaffen, in der der palästinensische Befreiungskampf marginalisiert und schließlich vergessen werden sollte.
![]() Trump und Netanjahu Pressekonferenz am 04.02.2025. Foto: Dan Scavino |
Die darauffolgenden viereinhalb Jahre waren die blutigsten in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts. Ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung der Abkommen griffen israelische Streitkräfte betende Muslime in der Al-Aqsa-Moschee an und vertrieben palästinensische Familien aus dem Jerusalemer Stadtteil Scheich Dscharrah. Dies löste ein Trommelfeuer von Hamas-Raketen aus dem Gazastreifen und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Juden (unterstützt von israelischen Soldaten und Polizisten) und Palästinensern aus, die zum ersten Mal seit 1948 das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan erfassten. In den Jahren 2022 und 2023 wurde eine Rekordzahl an Tötungen von Palästinenser:innen durch israelische Soldaten und Siedler erreicht, zudem stieg die Zahl der Angriffe auf Israelis. Der 7. Oktober war schließlich der ultimative Beweis dafür, dass der Versuch, den palästinensischen Befreiungskampf zu ignorieren, unausweichlich in einem tödlichen Zusammenstoß enden musste.
Ob Trump dies nun versteht oder nicht, sein neuer Vorstoß besagt im Wesentlichen: Wenn wir die Palästinenser nicht umgehen können, sollten wir sie vertreiben. „Ich habe gehört, dass die Lage für die Menschen im Gazastreifen sehr unglücklich ist“, sagte er Anfang der Woche in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und fügte hinzu, dass es daher am besten wäre, wenn die gesamte Bevölkerung von Gaza in ein „gutes, frisches, schönes Stück Land“ umziehen würde.
Diese Idee scheitert offensichtlich bereits an der praktischen Umsetzung. Die Chancen, dass mehr als 2 Millionen Palästinenser:innen – die meisten von ihnen Flüchtlinge oder Nachkommen von Flüchtlingen aus der Nakba von 1948, die seit 75 Jahren lieber in Flüchtlingslagern in Gaza leben, statt ihre Heimat zu verlassen – diese nun bereitwillig aufgeben würden, gehen gegen Null.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Länder wie Jordanien oder Ägypten auch nur einen Bruchteil dieser Bevölkerung aufnehmen würden, ist genauso gering, da dies ihre Regime destabilisieren könnte. Und ebenso absurd ist der Gedanke, dass die USA bereit wären, den Gazastreifen zu „besitzen“, zu regieren und weiterzuentwickeln, nachdem sie den langwierigen, teuren und verlustreichen Einsatz ihrer Besatzungstruppen im Irak und in Afghanistan gerade erst hinter sich gebracht haben.
Aber dieser Plan ist schlimmer als die Summe seiner Teile. Selbst wenn davon kein Jota umgesetzt wird, so beeinflusst er schon jetzt nachhaltig den politischen Diskurs unter jüdischen Israelis. Genauer gesagt hat er eine unterschwellig in der jüdisch-israelischen Gesellschaft vorhandene Stimmung aufgegriffen und verstärkt.
Netanjahu, der auf der Pressekonferenz neben Trump stand, war der erste, der die Initiative des Präsidenten begrüßte. „Mit dieser Herangehensweise lässt sich der Nahe Osten umgestalten und Frieden schaffen“, verkündete er. Es überrascht niemanden, dass auch die Führer der religiösen Rechten Israels umgehend ihre freudige Zustimmung zu diesem Vorschlag zum Ausdruck brachten und Trumps Pressekonferenz wie eine göttliche Offenbarung betrachteten. Aber sie waren bei weitem nicht die Einzigen.
Benny Gantz, der die Regierung wegen seiner Kritik an der Strategie des Gaza-Krieges verlassen hat, bezeichnete Trumps Umsiedlungsplan als „kreativ, originell und interessant“. Yair Lapid, Vorsitzender der rechtsliberalen Partei Jesch Atid, nannte die Pressekonferenz „gut für Israel“. Yair Golan, Vorsitzender der „links-zionistischen“ Partei der Demokraten, kommentierte lediglich die mangelnde Umsetzbarkeit des Plans. Es schien, als hätten die Politiker des gesamten zionistischen Spektrums nur auf den Moment gewartet, in dem die ethnische Säuberung das Gütesiegel „Made in America“ erhalten würde, um sie dann für sich zu übernehmen.
Dieses giftige Konzept ethnischer Säuberung wird in den Köpfen der Israelis noch lange nachwirken und die Folgen könnten für die gesamte Region katastrophal sein.
Auch ohne den Einsatz von US-Truppen vor Ort werden die Forderungen von Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir enormen Auftrieb erhalten, da jetzt in Israel das Gefühl vorherrscht, eine historische Gelegenheit sei gekommen, den Gazastreifen von seinen palästinensischen Bewohner:innen zu säubern. Beide Rechtsaußen drängen Netanjahu, noch vor der Aushandlung der zweiten Phase den Waffenstillstand aufzukündigen, den Gazastreifen zu erobern und wieder jüdische Siedlungen aufzubauen. Netanjahu selbst, dem Trumps offene Dreistigkeit etwas peinlich zu sein schien, befürwortet die Idee einer „Ausdünnung“ der Bevölkerung des Gazastreifens und könnte diesen Forderungen durchaus nachgeben, zumal er befürchtet, dass er seine Koalitionspartner verlieren könnte.
Ein hoher Offizier der israelischen Armee wurde von der israelischen Nachrichten-Website Ynet zitiert und bezeichnete Trumps Initiative als „eine ausgezeichnete Idee“. In der Zwischenzeit hat die „Koordination für Regierungsaktivitäten in den Territorien“ (COGAT), das für die Überwachung der humanitären Angelegenheiten im Gazastreifen und im Westjordanland zuständige Organ der Armee, bereits mit der Ausarbeitung der Pläne begonnen. Sollte sich Ägypten beispielsweise weigern, den Rafah-Übergang zur Verfügung zu stellen, um die ethnische Säuberung des Gazastreifens abzuwickeln, kann die Armee andere Routen „über das Meer oder den Landweg und von dort aus zu einem Flughafen bereitstellen, um die Palästinenser in die Zielländer zu bringen.“
![]() Unterzeichnung des „Normalisierungsabkommens“, 15.09.2020 (Foto: Flickr) |
Selbst wenn der Waffenstillstand in die zweite und dritte Phase verlängert wird, die Geiseln alle freigelassen werden, die Armee sich aus dem Gazastreifen zurückzieht und ein dauerhafter Waffenstillstand erreicht wird, wird Trumps Plan nicht aus der jüdisch-israelischen Politik verschwinden. Welchen Grund hätte eine Regierung oder Partei, sich noch für ein politisches Abkommen mit den Palästinensern einzusetzen, wenn die öffentliche Meinung unter den jüdischen Israelis deren Vertreibung als gangbare Alternative sieht? Jedes Abkommen, jeder Waffenstillstand wäre dann nichts weiter als ein vorübergehender Schritt auf dem Weg zum endgültigen Ziel der Massenumsiedlung. Der Spielraum für eine effektive jüdisch-palästinensische politische Zusammenarbeit wird erheblich schrumpfen.
Und warum nur Gaza? Es gibt keinen besonderen Grund, warum Trumps Vorschlag nicht auf die Palästinenser:innen im Westjordanland – ein Gebiet, in dem sie seines Erachtens wahrscheinlich auch „sehr unglücklich“ sind – oder Ostjerusalem oder sogar Nazareth ausgeweitet werden könnte.
Auf palästinensischer Seite wird Trumps Plan jeden Gedanken an eine Versöhnung mit Israel begraben. Seit den Osloer Verträgen von 1993 (und sogar schon davor) hat die palästinensische politische Führung – mal enthusiastisch, mal zähneknirschend – eingewilligt, neben einem Staat zu leben, der 1948 durch die Massenvertreibung und auf den Trümmern des eigenen Volkes entstanden ist. Dies war sicherlich nie unumstritten; es gab viele Hindernisse, viel Doppelzüngigkeit und jede Menge gewaltsamen Widerstand – nicht zuletzt von der Hamas –, aber dies war jahrzehntelang die herrschende Meinung.
Wenn der US-Präsident jetzt die Umsiedlung als Lösung für das „palästinensische Problem“ vorschlägt und ganz Israel – von der religiös-faschistischen Rechten bis zur liberalen Mitte und sogar der „zionistischen Linken“ – ihn begrüßt, ist die Botschaft an die Palästinenser klar: Es gibt keinen Spielraum für einen Kompromiss mit Israel und seinem US-amerikanischen Schirmherrn, zumindest nicht in der jetzigen Form, denn sie sind fest entschlossen, das palästinensische Volk wegzusäubern.
Deswegen werden nicht zwangsläufig Massen von Palästinensern umgehend zum bewaffneten Kampf übergehen, auch wenn dies nicht ganz auszuschließen ist. Aber mit Sicherheit wird jeder palästinensische Vertreter, der versucht, ein Abkommen mit Israel zu erzielen, keinerlei Unterstützung aus der Bevölkerung erhalten. Die Legitimität der Palästinensischen Autonomiebehörde ist bereits am Boden; die Wiederaufnahme eines politischen Prozesses mit Israel wird deren Position vor dem Hintergrund von Trumps Plan nur noch weiter verschlechtern.
Und damit sind noch nicht alle Risiken beschrieben. In seiner völligen Unkenntnis des Nahen Ostens (während der gesamten Pressekonferenz erklärte er wiederholt, dass „sowohl Araber als auch Muslime“ von seinem Plan und dem damit einher gehenden Wohlstand profitieren würden) hat Trump die Palästinenserfrage auf die „regionale“ Ebene gehoben und betrachtet ihre Lösung nicht als Angelegenheit von Juden und Palästinensern, die zwischen dem Fluss und dem Meer leben, sondern delegiert diese Verantwortung an die umliegenden Staaten. Er verlangt nicht nur, dass Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und andere Länder sich bereit erklären, Hunderttausende von Palästinenser:innen in ihren Gebieten aufzunehmen, sondern drängt sie auch, die palästinensische Sache ad acta zu legen.
Diese Forderung ist eine direkte Bedrohung für alle Regime in der arabischen Welt. Die jordanische Regierung befürchtet, dass die Zuwanderung von noch mehr Palästinenser:innen in ihr Königreich ihren Untergang herbeiführen könnte, weil das empfindliche demografische Gleichgewicht des Landes, das ohnehin stark palästinensisch geprägt ist, gestört wird. Aber auch in anderen Ländern, die weniger direkte Verbindungen zu Palästina haben, ist die Lage genauso prekär. Man musste nur die saudischen Nachrichtensender nach Trumps Ankündigung verfolgen, um das Ausmaß des Schocks, der Bedrohung und der Angst im Gefolge von Trumps Äußerungen zu erfassen.
Fünfzehn Jahre bevor die PLO [in Oslo] einen historischen Kompromiss mit dem Staat Israel einging, war Ägypten zu dem Schluss gelangt, dass es sich nicht nur mit der Existenz Israels in der Region abfinden, sondern auch Vorteile daraus ziehen könnte, und hatte daher den Friedensvertrag von 1979 unterzeichnet. Jordanien folgte diesem Beispiel, und vor viereinhalb Jahren schlossen sich die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, der Sudan und Marokko diesem Standpunkt an. Auch das regionale Schwergewicht Saudi-Arabien scheint zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt zu sein, ohne offiziell normale Beziehungen mit Israel aufgenommen zu haben. Aber Trumps Hauruck-Verfahren und Israels spontane Zustimmung könnten den Regimen im Nahen Osten – auch den sog. „gemäßigten“ (die in Wirklichkeit oft noch autokratischer sind als die anderen) – signalisieren, dass Kompromisse zwecklos sind. Alles deutet darauf hin, dass Israel dank seiner militärischen Macht und der Unterstützung der USA glaubt, der Region seinen Willen aufzwingen zu können, einschließlich der Zwangsvertreibung von Millionen von Menschen aus ihrer Heimat und der Verweigerung ihres fast weltweit anerkannten Rechts auf Selbstbestimmung.
In den vergangenen anderthalb Jahren begnügte sich Israel nicht mit dem Massenmord im Gazastreifen und der Zerstörung der für das Überleben notwendigen Infrastruktur. Es hat auch Teile des Libanon besetzt und weigert sich unter Verletzung des Waffenstillstandsabkommens, ihre Armee zurückzuziehen; und es hat Teile Syriens besetzt und hat nicht die Absicht, das Land in absehbarer Zeit zu verlassen. All dies deutet darauf hin, dass Israel beschlossen hat, eine neue Ordnung im Nahen Osten mit nackter Gewalt zu etablieren – ohne jegliche Vereinbarungen und ohne Verhandlungen.
Im Jom-Kippur-Krieg von 1973 hat Israel letztmals gegen die Armeen souveräner Staaten und nicht gegen viel schwächere nichtstaatliche militante Organisationen gekämpft. Auch wenn in israelischen Geschichtsbüchern heute behauptet wird, dass Israel keine Verantwortung für den damaligen Krieg getragen hat, besteht kein Zweifel daran, dass Ägypten und Syrien ihn nur deshalb angefangen haben, weil sie erkannten, dass es keine Chance gab, auf friedliche Weise die 1967 von Israel besetzten Gebiete zurückzubekommen.
Der Weg, den Israel jetzt unter Trumps Ägide einschlägt, könnte seine Nachbarländer ebenfalls zu dem Schluss führen, dass Israel nur Gewalt versteht. Middle East Eye nennt Quellen in Amman, wonach Jordanien bereit ist, Israel den Krieg zu erklären, falls Netanjahu versucht, palästinensische Flüchtlinge gewaltsam in sein Gebiet zu bringen.
Das muss natürlich nicht so enden. Vieles hängt von Trumps Laune ab und davon, wie entschlossen er ist, seine Pläne gegen den weltweiten Widerstand durchzusetzen. Der Widerstand darf nicht nur von den Palästinenser:innen kommen, sondern auch von den Juden und Jüdinnen in Israel, die verstehen, dass sie hier keine Zukunft haben, wenn sie nicht in Gleichberechtigung mit der ursprünglich einheimischen Bevölkerung des Landes leben. Widerstand könnte auch in Form neuer Koalitionen im Nahen Osten und darüber hinaus erfolgen, wenn diese sich weigern, amerikanische Diktate zu akzeptieren.
Klar ist, dass Trumps Kriegspläne und Israels erbärmlicher Versuch, auf dieser Welle zu reiten, das durchaus reale Risiko bergen, auf Gegengewalt zu stoßen. Und das wäre für alle eine Katastrophe.
Meron Rapoport ist ein Herausgeber von Local Call. |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 2/2025 (März/April 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz