Das Regime in der Türkei hat eine Initiative für Verhandlungen mit der PKK gestartet
Uraz Aydın
Vor mehr als neun Jahren scheiterten die Verhandlungen zwischen PKK-Führer Abdullah Öcalan und dem türkischen Staat zur Erzielung eines Waffenstillstands. Jetzt versucht das Erdoğan-Regime erneut, die PKK (und ihre Kräfte in Rojava, Syrien) zu zwingen, ihre Waffen niederzulegen. Dieser neue „Prozess“ wurde von dem Führer der extremen Rechten Devlet Bahçeli initiiert, wobei bislang unklar ist, welche Rechte das kurdische Volk erhalten würde, abgesehen von einer möglichen Freilassung Öcalans, wenn er zu Auflösung der kurdischen Streitkräfte auffordert. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat seine Vorstellung zur „Lösung“ des Konflikts folgendermaßen zusammengefasst: „Entweder sie begraben ihre Waffen oder wir begraben sie mit ihren Waffen.“
Der letzte nennenswerte Verhandlungsversuch war der Friedensprozess von 2013–2015, der sich auf mehrere Schlüsselthemen konzentrierte, um den bewaffneten Konflikt zu beenden und eine politische Lösung für die kurdische Frage zu finden. Ziel des Regimes war es, die Hegemonie der AKP in der kurdischen Wähler:innenschaft auszubauen. Es sollten ein dauerhafter Waffenstillstand und der Rückzug der bewaffneten Kräfte der PKK von den Grenzen der Türkei ausgehandelt werden. Zu diesem Zweck wurden Gespräche über die schrittweise Entwaffnung der kurdischen Kämpfer geführt. Dazu gehörten aber auch demokratische Errungenschaften wie die Anerkennung kultureller und sprachlicher Rechte, Verfassungsreformen, eine teilweise Demokratisierung und Stärkung der lokalen Verwaltung, die Freilassung politischer Gefangener usw.
Das Projekt ist aus innenpolitischen und außenpolitischen Gründen gescheitert, die eng mit der Kolonisierung des auf vier Staaten aufgeteilten Kurdistans zusammenhängen. Zum einen wurde die Konsolidierung der autonomen Verwaltung im Nordosten Syriens, in Rojava, durch die syrischen Kurd:innen unter der Führung der Partei der Demokratischen Union (PYD) und ihres bewaffneten Zweigs, den Volksschutzeinheiten (YPG), von Ankara als Bedrohung wahrgenommen. Das türkische Regime versuchte deshalb, diese Konsolidierung durch seine Unterstützung des DAESH [Islamischer Staat] zu stoppen, vor allem bei der Belagerung der Stadt Kobane in Syrisch-Kurdistan durch die dschihadistische Organisation. Dies führte Anfang Oktober 2014 zu massiven Unruhen unter der kurdischen Bevölkerung auf der türkischen Seite der Grenze.
Zum anderen führte Selahattin Demirtaş, der Vorsitzende der HDP, der offiziell zugelassenen Partei der kurdischen Bewegung, bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 eine wirkungsvolle Kampagne, die einen bedeutenden Teil der Linken gegen den [2014 erfolgten] Aufstieg Erdoğans zum Präsidenten zusammenführte. Die HDP erzielte mit 13,1 Prozent einen unerwarteten Erfolg, zog ins Parlament ein und verhinderte, dass Erdoğans AKP eine Alleinregierung bilden konnte. Damit begann das, was wir seinerzeit den Abstieg in die Hölle nannten: Angriffe, Unterdrückung, Massaker und die Wiederaufnahme des Krieges … Der Wendepunkt von 2015 war für die Änderung des Erdoğan-Regimes entscheidend, das sich von da an mit der faschistischen Rechten der Türkei, nämlich der Partei der Nationalen Bewegung (MHP), verbündete und die kurdische Frage wieder remilitarisierte.
Seit 2015 gehören Willkür und Kriminalisierung zu den politischen „Spielregeln“. Der versuchte Staatsstreich im Jahr 2016 durch seinen ehemaligen Verbündeten (Gülen-Bewegung) ermöglichte es dem Regime, seinen autokratischen und repressiven Charakter weiter zu verstärken, im Besonderen gegen die kurdische Bewegung. Mehr als zehntausend Aktivist:innen der legalen Partei sitzen seit Jahren hinter Gittern. Die wichtigsten Persönlichkeiten der Bewegung, ihre ehemaligen Vorsitzenden, Sprecher:innen und Abgeordneten sind ebenfalls inhaftiert und verbüßen Haftstrafen von mehreren Jahrzehnten. Im Nachgang jeder Regional- oder Gemeindewahl werden fast alle Bürgermeister der Gemeinden in der kurdischen Region aufgrund von Anschuldigungen wegen Verbindungen zum Terrorismus ihres Amtes enthoben (ein großer Teil von ihnen wurde verurteilt) und durch vom Staat ernannte Verwaltungsbeamte ersetzt. Auf diese Weise wird die politische Entscheidung der Kurden, auch dort, wo es keinen Wahlbetrug gab, nicht respektiert und ihre gewählten Vertreter (die oft mit mehr als 70‒80 % der Stimmen gewählt wurden) werden inhaftiert.
Wir sollten hinzufügen, dass dasselbe Verfahren in den letzten Monaten auch gegenüber Bürgermeistern der CHP, der größten Oppositionspartei (Mitte-Links, Republikaner), angewandt wurde. Zum Zeitpunkt, da wir diesen Bericht schreiben, wurde der Bürgermeister des Beşiktaş-Bezirks in Istanbul (eine der Bastionen der säkularen Opposition) verhaftet, offiziell unter dem Vorwurf der Korruption, aber das wahre Motiv ist ohne jeden Zweifel politisch.
Obwohl das kurdische Volk also weiterhin kämpft und seine Identität zum Ausdruck bringt, ist die Bewegung in den letzten Jahren enorm geschwächt worden. Die Führung des bewaffneten Zweigs befindet sich immer noch in den Bergen des Nordiraks und ist Angriffen der türkischen Armee ausgesetzt (mit intensivem Einsatz von Drohnen, auf beiden Seiten). Ihre Truppen haben sich jedoch fast vollständig aus der Türkei zurückgezogen, um sich der YPG in Rojava (offiziell: Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien) anzuschließen.
So wurde die kurdische Frage, genauer gesagt der Konflikt mit der kurdischen Bewegung, in gewisser Weise in die Nachbarländer Irak und Syrien exportiert, wo der türkische Staat weiterhin auf verschiedene Weise – diplomatisch, wirtschaftlich und militärisch – versucht, die an Öcalan orientierte kurdische Bewegung und natürlich die von ihr geführte autonome Verwaltung zu zerstören.
Dennoch: Trotz seines autoritären Regierungsstils und des nachlassenden öffentlichen Interesses an der Politik erlitt Erdoğans AKP-MHP-Block bei den Kommunalwahlen im März 2024 einen der schwersten Rückschläge in seiner Geschichte. Bei einer geringeren Wahlbeteiligung als bei früheren Wahlen errang die CHP einen unerwarteten Sieg mit 37,8 % der Stimmen gegenüber 35,5 % für Erdoğans AKP. Dies war die erste Niederlage Erdoğans seit 2002. Der CHP gelang es auch, Rathäuser in wirklichen AKP-Hochburgen zu gewinnen. Und wichtiger noch: Istanbul und Ankara blieben in der Hand der Opposition. Für die Niederlage der AKP sind in erster Linie die Inflation und die steigenden Lebenshaltungskosten verantwortlich, die für eine große Mehrheit der Bevölkerung unerträglich geworden sind.
Es war also ein schmerzlicher Rückschlag für Erdoğan, für den die Wahrung seiner Stellung als Sultan oberste Priorität hat, um das Überleben seines reaktionären Regimes abzusichern. Israels völkermörderischer Krieg gegen das palästinensische Volk und seine anschließenden Offensiven gegen den Libanon und den Iran boten Erdoğan die Gelegenheit, das politische Feld neu zu strukturieren und die oppositionellen Kräfte zu neutralisieren. So rufen die Sprecher des Regimes seit Beginn des Sommers 2024 zu einer „inneren Front“ auf, was eine Art nationale Einheit angesichts der Gefahr einer Destabilisierung der Nachbarländer, ganz zu schweigen von einem möglichen Angriff Israels, bedeuten soll.
Natürlich ist es nicht glaubwürdig, von einer wahrscheinlichen Offensive des zionistischen Staates [gegen die Türkei] zu sprechen. Denn obwohl der türkische Präsident gerne seine Solidarität mit der palästinensischen Sache betont, gibt es keine Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen mit Israel. Aber Erdoğan hat während seiner gesamten politischen Laufbahn und vor allem in seinem Bestreben, die Türkei zu einer Regionalmacht zu machen, sehr stark von nationalistisch-militaristischen Mobilisierungen bei internationalen Konflikten profitiert, vor allem, wenn es darum ging, die politischen Spannungen innerhalb der Türkei zu verringern. Es war also durchaus vorhersehbar, dass er versuchen würde, die antizionistische Stimmung in der Bevölkerung zu nutzen, um die Dynamik der innenpolitischen Opposition zu neutralisieren und seine Vormachtstellung wieder zu festigen.
Vor diesem Hintergrund der Spannungen und des geopolitischen Konflikts im Nahen Osten rief der faschistische Führer Devlet Bahçeli nach einigen Anzeichen der Annäherung schließlich am 22. Oktober 2024 – zur Überraschung aller – Abdullah Öcalan (der als „Kopf der Terroristen“ bezeichnet wurde) auf, im Parlament das Ende des bewaffneten Kampfes und die Auflösung der PKK zu verkünden. [1]
Da Abdullah Öcalan seit 1999 auf der Insel Imrali vor der Küste Istanbuls inhaftiert ist, wäre es dazu erforderlich, zunächst seine Isolationshaft aufzuheben, damit er sich äußern kann. Und wenn die Zerschlagung seiner Organisation angekündigt wird, könnte er im Gegenzug vielleicht in den Genuss des „Rechts auf Hoffnung“ kommen, das ihm trotz seiner lebenslangen Haftstrafe die Freilassung ermöglichen würde.
Die Tatsache, dass Bahçeli der Vertreter der politischen Bewegung ist, die am härtesten gegen eine friedliche Lösung der kurdischen Frage agiert und die gewaltsame Unterdrückung befürwortet, war natürlich der Hauptgrund für Misstrauen. Außerdem schienen weder die Dem Parti (prokurdische Linkspartei, der neue Name der HDP) noch die AKP und die MHP von dieser „Einladung“ zu wissen. Es dauerte auch mehrere Tage, um herauszufinden, ob Bahçeli und Erdoğan auf der gleichen Wellenlänge waren und ob Erdoğan im Voraus über eine solch radikale Ankündigung im Voraus informiert war. Oder ob Erdoğans Clique bereits einen neuen Dialog mit Öcalan begonnen hatte, ohne dass Bahçeli (und die gesamte Öffentlichkeit) davon wusste, und Bahçeli, der sich nicht aus einem solchen Prozess ausschließen lassen wollte, es dann lieber vorzog, den Druck zu erhöhen, um damit für sich eine größere Verhandlungsmasse zu erzielen. Wie die Verhandlungen zwischen den beiden Teilen des Regimes verlaufen sind, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Es könnte sich aber eher um eine „Arbeitsteilung“ zwischen den beiden Führern handeln, wobei Erdoğan Bahçeli die Aufgabe überließ, das neue Projekt anzukündigen, und es vorzog, die Reaktionen abzuwarten, zumindest für den Anfang.
Das Motiv für ein solches Projekt, das so abrupt angekündigt wurde, ist noch nicht wirklich klar. Angesichts der Schwäche der kurdischen Bewegung innerhalb der Türkei erscheint es anachronistisch. Das gängige Argument der Opposition war, dass das Regime eine Verfassungsänderung benötige, damit Erdoğan bei den nächsten Präsidentschaftswahlen erneut antreten könne, und dass der AKP-MHP-Block die Unterstützung der Dem-Partei benötige, um die dafür nötigen 400 Stimmen (von 600) im Parlament zu erhalten. Der radikale Charakter des Vorschlags kann jedoch ebenso gut Stimmen aus dem islamisch-nationalistischen Block kosten, denn es muss klar sein, dass das Reden über die Freilassung Öcalans, dem sogar Besuche seiner Anwälte und seiner Familie untersagt sind, ein Tabuthema ist, dessen öffentliche Erwähnung strafbar ist.
Das Motiv muss also ein internationales gewesen sein, eine Frage der „nationalen Sicherheit“, die vor allem mit der Existenz einer bewaffneten kurdischen Bewegung in den Nachbarländern zusammenhängt. Eine Destabilisierung des Regimes im Iran und ein geopolitisches Chaos im Nahen Osten hätten der kurdischen Bewegung natürlich Auftrieb geben und ihr Geländegewinne ermöglichen können. Aber diese Möglichkeit schien noch in weiter Ferne und erklärte nicht die Dringlichkeit einer so radikalen Lösung des Konflikts.
Letztlich war es der beschleunigte Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024, der die Ungeduld des Erdoğan-Blocks verstärkte, Öcalan die Auflösung der PKK (und der PYD-YPG) verkünden zu lassen. Der Zusammenbruch der baathistischen Diktatur und die Machtergreifung der HTS-Salafisten hätten ein Kräfteverhältnis schaffen können, das für eine Konsolidierung und Ausweitung der autonomen kurdischen Verwaltung günstig gewesen wäre. Ankara, das selbstverständlich mehrere Wochen im Voraus von dem Plan zum Sturz des Regimes wusste und sich über die von ihm kontrollierte „Syrische Nationale Armee“ daran beteiligen wollte, war zweifellos bestrebt, die Gefahr einer Konsolidierung der kurdischen Autonomie unter dem neuen Regime zu entschärfen. Die unerbittlichen Angriffe auf Rojava seitens der SNA und der türkischen Luftwaffe verdeutlichen die Dringlichkeit des türkischen Regimes, die Existenz einer kurdischen Zone an seinen Grenzen so schnell es geht zu beenden, möglichst noch vor der Amtseinführung von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten am 20. Januar 2025.
Auch wenn Trump Erdoğan als seinen Freund bezeichnet, so ist doch klar, dass die Kurden in Syrien im Moment sowohl für Washington als auch für Tel Aviv, in der Region die wichtigsten Verbündeten vor Ort sind. Es ist also durchaus möglich, dass Trump zwar bestrebt sein wird, Erdoğan an seiner Seite zu halten, aber dennoch versuchen wird, eine kurdische bewaffnete Präsenz auf syrischem Territorium aufrechtzuerhalten, natürlich nicht aus demokratischen Beweggründen, sondern um seine Interessen sowie die des zionistischen Staates zu verteidigen.
![]() Abdullah Öcalan, 1997 Foto: Halil Uysal |
Auch wenn das Rätsel des Motivs schließlich geklärt ist, bleibt der Verlauf der Verhandlungen vorerst unklar. Das Regime besteht darauf, dass die Gespräche nur zwischen dem türkischen Staat, Öcalan und der Dem-Partei stattfinden, ohne die Führung der PKK und des wichtigsten Vertreters der kurdischen (zivilen) politischen Bewegung, Selahattin Demirtaş, einzubeziehen. Und außer der Freilassung Öcalans sind derzeit keine demokratischen Maßnahmen im Gespräch.
Ein erster Besuch der Dem-Delegation bei Öcalan fand am 28. Dezember 2024 statt; hier ist der Bericht:
„Bei diesem Treffen, bei dem die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten und in der Türkei analysiert wurden, legte Herr Öcalan Vorschläge für positive Lösungen der düsteren Szenarien vor, die uns aufgezwungen werden.
Hier ist der allgemeine Rahmen seiner Gedanken und Ansätze:
„Die türkisch-kurdische Brüderlichkeit wieder zu stärken, ist eine historische Verantwortung und wird gleichzeitig wichtig und dringlich für alle Völker.
Für den Erfolg des Prozesses ist es unerlässlich, dass alle politischen Ebenen und Kräfte in der Türkei Initiativen ergreifen, konstruktiv handeln und einen positiven Beitrag leisten, ohne sich in engstirnigem oder sachfremdem Kalkül zu verstricken. Einer der wichtigsten Schauplätze für dieses Vorgehen wird zweifellos die Türkische Nationalversammlung (TBMM) sein.
Die Ereignisse in Gaza und Syrien haben gezeigt, dass die Lösung dieses Problems, das durch Interventionen von außen zu einem Wundbrand zu werden droht, nicht länger aufgeschoben werden kann. Der Beitrag und die Vorschläge der Opposition sind wertvoll, um eine Arbeit zu vollbringen, die der Dramatik der Situation angemessen ist.
Ich bin in der Lage und entschlossen, einen positiven Beitrag zu der von Herrn Bahçeli und Herrn Erdoğan unterstützten neuen Denk- und Vorgehensweise (Paradigma) zu leisten.
Mein Ansatz wird von der Delegation geteilt, die mit der staatlichen und politischen Sphäre in Gespräche eintritt. Angesichts dessen bin ich bereit, die erforderlichen positiven Schritte zu unternehmen und den notwendigen Appell auszusprechen.
All diese Bemühungen werden dazu beitragen, das Land auf das Niveau zu bringen, das es verdient, und werden gleichzeitig ein wertvoller Wegweiser für den demokratischen Wandel sein. Heute ist die Zeit für Frieden, Demokratie und Brüderlichkeit in der Türkei und in der Region.“
Auch wenn sich die meisten seiner Äußerungen auf Allgemeinplätze beschränken, können wir doch sicher sein, dass der PKK-Führer dieses „neue Paradigma“ unterstützt und sich immer noch respektiert genug fühlt, um die Auflösung der Organisation zu fordern. Andererseits ist auch seine Betonung der Rolle des Parlaments und der Opposition wichtig, da die Verhandlungen von 2013‒2015 hauptsächlich zwischen den Geheimdiensten und Öcalan geführt wurden.
Die Delegation der Dem Parti versucht, dieses Mal anders vorzugehen, trotz aller Unklarheiten, die mit dem Prozess verbunden sind. Sie besucht alle im Parlament vertretenen Parteien, um Öcalans Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen. Die Delegation besuchte auch die ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP, die im Gefängnis sitzen.
Selahattin Demirtaş äußerte seine Unterstützung folgendermaßen aus:
„Auch wenn viele Leute es beharrlich vermeiden, diesem Prozess einen Namen zu geben, so ist er doch für uns der ‚Prozess der Demokratisierung, des Friedens und der Brüderlichkeit‘. Als politische Akteure, die auf einer demokratischen und friedlichen Basis agieren, wünschen und unterstützen wir das endgültige Ende von Konflikten und Gewalt. Wir bekräftigen, dass wir an der Seite von Herrn Öcalan stehen werden, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind und er eine entsprechende Initiative ergreift. Eine mögliche Initiative liegt natürlich ganz in seiner Hand“.
Selahattin Demirtaş versäumte es jedoch nicht, auf die (zurzeit noch nicht erfüllten) Bedingungen eines solchen Prozesses hinzuweisen, in einer Zeit, in der wieder Rathäuser der Dem vom Regime angegriffen werden, ihre Bürgermeister entlassen und inhaftiert werden und Dörfer in Rojava bombardiert werden:
„Jeder muss sicher sein, dass mit diesen guten Vorhaben auch gute Absichten und Maßnahmen verbunden sind. Damit der Prozess konkrete Formen annimmt, müssen schnell greifbare und vertrauensbildende Schritte unternommen werden … Ein politischer Frieden kann nur dann von Dauer sein, wenn er auf eine Weise erreicht wird, die alle Wege für den sozialen Frieden, d.h. für Demokratisierung, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheiten ebnet. In diesem Fall wird er für alle von Vorteil sein, sowohl für das Land als auch für seine Bürgerinnen und Bürger.“
Der Abgeordnete der Dem Parti und Mitglied der aktuellen Delegation (wie auch der von 2013) Sırrı Sureya Önder drückt die Widersprüche des Prozesses wie folgt aus:
„In der öffentlichen Wahrnehmung werden die Begriffe Lösung [der kurdischen Frage] und Frieden oft miteinander verwechselt. Das ist nicht richtig. Frieden kann sogar durch eine einfache Umarmung erreicht werden. Die Lösung hingegen ist ein Prozess des demokratischen und langfristigen Kampfes. Die Dauer und Tiefe dieses Prozesses variiert je nach Problembereich. Im Moment versuchen wir, Frieden herzustellen.“ Die Lösung sollte also warten, bis sie an der Reihe ist …
Bahçeli, der Führer der nationalistischen extremen Rechten, forderte, dass bei einem eventuellen zweiten Besuch bei Öcalan (der in den nächsten Tagen erwartet wird) das „Ende der organisatorischen Existenz der PKK“ erklärt wird. In der Fortsetzung seiner Rede, die die autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien im Visier hatte, erklärte Bahçeli:
„Östlich des Euphrats muss der Terrorismus entweder beseitigt sein oder mit Gewalt beseitigt werden. Wir bleiben unserer Position treu … Das Türkentum ist das Ehrenabzeichen unserer Existenz. Über Terrorismus kann nicht verhandelt werden, er kann nur durch Kampf besiegt werden … Im Frieden gibt es keinen Verlierer, im Krieg gibt es keinen Gewinner. In diesem Fall sind wir bereit, dass alle durch Frieden gewinnen, wir sind dabei.“
Von Diyarbakır aus, der wichtigsten kurdischen Stadt in der Türkei, rief auch Recep Tayyip Erdoğan die Kurden auf, diese neue Chance zu ergreifen:
„Ein neues Zeitfenster hat sich für unser Land geöffnet, um die Geißel des Terrorismus ein für alle Mal zu beenden. Es gibt jetzt eine Türkei, deren Mitglieder alle vereint sind und sich der Unterdrückung nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Landes widersetzen … Die terroristischen Organisationen haben nur die Wahl, ihre Waffen niederzulegen, wir geben ihnen die Chance, eine wirkliche politische Organisation zu werden.“
In den Reden der Führer des türkischen Regimes lässt sich erkennen, dass demokratische Maßnahmen zur Anerkennung der kurdischen Identität zurzeit nicht vorgesehen sind. Wir müssen aber auch festhalten, dass die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Öcalan für die islamistisch-nationalistische Basis des Regimes alles andere als leicht zu akzeptieren ist. Gleichzeitig ist das Regime anscheinend bestrebt, die bewaffnete Bewegung so weit wie möglich zu schwächen, bevor es zu konkreten Verhandlungen kommt.
Unter welchen Bedingungen wird Öcalan bereit sein, einen Aufruf an seine Organisation zu richten? Werden die verschiedenen Parteien vor Ort (PKK, PYD, YPG …), die alle eine gewisse relative Autonomie haben, zustimmen und in welchem Umfang werden sie ihre Waffen niederlegen? Obwohl die PKK-Führung behauptet, Öcalans Schritte in Richtung Frieden zu unterstützen, weist sie auch darauf hin, dass innerhalb des Staates keine Anzeichen für einen neuen Prozess zu erkennen sind. Wird im Falle einer Weigerung, diesem Aufruf zu folgen oder die Waffen niederzulegen, eine neue Welle der Repression und der Gewalt gegen die zivile und die bewaffnete Bewegung einsetzen?
Widersprüche und Unentschlossenheit durchziehen diesen neuen Prozess, der, wie Demirtaş anmerkte, noch keinen Namen hat.
Aber selbst ohne Namen, selbst zerbrechlich und von Misstrauen durchzogen, bleibt die Hoffnung eine Hoffnung.
Istanbul, 15.1.2025 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 2/2025 (März/April 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz