USA

Blockieren, verschwenden, desorganisieren?

Sozialist:innen und die Wahlen 2024

Der folgende Artikel ist eine Erwiderung auf einen Artikel von Max Elbaum, in dem dieser die Positionen der marxistischen Zeitschrift „Tempest“ angreift.

Ashley Smith


Alter Wein in neuen Schläuchen


Elbaums Position, die auf der Linken hegemonial ist, ist alles andere als eine kühne neue Strategie, seit die Kommunistische Partei in den 1930er Jahren die unabhängige Politik der Arbeiterklasse aufgab, um die Demokratische Partei zu unterstützen. Eine Zeit lang schien die Neue Linke der 1960er Jahre kurz davor, damit zu brechen, nur um dann von Sozialdemokraten wie Michael Harrington und ehemaligen „Marxisten-Leninisten“ in der New Communist Movement (Neue Kommunistische Bewegung) auf einen langen Marsch zurück in die Demokratische Partei geführt zu werden. Das Umfallen der Linken hinein in die Demokratische Partei gefährdete die unabhängige Organisation von Klassen- und sozialen Kämpfen, ordnete die Bewegungen den Wahlen unter und zwang sie, Forderungen aufzugeben, für die sie einst gekämpft hatte.

Seitdem hat die Linke verschiedene Versuche unternommen, die Demokratische Partei zu transformieren oder zu benutzen – eine Neuausrichtung, eine Ersatzpartei und einen immer wieder aufgeschobenen Plan für einen „harten Bruch“. Elbaums „Block and Build“ ist nur die jüngste Inkarnation der Standardstrategie der Linken. Es ist keine, die für diese spezielle Wahl entwickelt wurde, sondern ist seit den 90er Jahren eine gemeinsame Position der Linken. Es handelt sich bestenfalls um alten Wein in neuen Schläuchen.

Seine Artikel mögen Beifall, Likes und Nachdrucke von Liberalen, NGO-Führungskräften, Gewerkschaftsfunktionären und progressiven Demokraten erhalten haben – die allzu oft ein materielles Interesse an der Verfolgung dieser Strategie haben –, aber der Weg, den Elbaum vertritt, ist in der Vergangenheit völlig gescheitert und wird heute wieder scheitern. Dies wird die Rechten nicht blockieren, wird keinen Widerstand gegen die Demokraten aufbauen und wird sicherlich nicht zur Bildung einer neuen sozialistischen Partei führen.


Gefangener der beiden kapitalistischen Parteien


Elbaum beginnt seinen Beitrag mit der zutreffenden Schilderung der schwierigen Situation, in der sich Sozialist:innen in den USA heute befinden. Wir sind klein, weitgehend unorganisiert und fangen gerade erst an, unsere soziale Basis in der Arbeiterklasse und unterdrückten Gruppen wieder aufzubauen. Wir haben keine sozialdemokratische Partei, geschweige denn eine revolutionäre.

Elbaums Feststellung, dass „die politischen Strukturen unseres Landes ein gewaltiges Hindernis für radikale Veränderungen darstellen“, ist eher eine Untertreibung. Er meint, dass wir es mit einer Republikanischen Partei mit „einem autoritären MAGA-Block [Make America Great Again] zu tun haben, der offen faschistische Elemente enthält“, und einer Demokratischen Partei, die „eine alternative Agenda“ anbietet, aber „der rechten Angstmacherei gegenüber Einwanderern nachgegeben hat“.

 

Elbaums „Block and Build“ ist nur die jüngste Inkarnation der Standardstrategie der Linken. Es ist keine, die für diese spezielle Wahl entwickelt wurde, sondern ist seit den 90er Jahren eine gemeinsame Position der Linken. Es handelt sich bestenfalls um alten Wein in neuen Schläuchen.«

Während seine Charakterisierung der Republikaner im Grunde richtig ist, gilt das nicht für seine Darstellung der Demokraten. Die Demokraten sind keine „klassenübergreifende Koalition“ oder eine sozialdemokratische Partei, sondern eine kapitalistische, und sie bieten keinerlei Alternative an, die die Sozialisten unterstützen sollten. Sie werden vom Großkapital finanziert, streng kontrolliert von einer Parteibürokratie, die sich dem Erhalt des Systems verschrieben hat (man erinnere sich an Nancy Pelosi, die stolz erklärte: „Wir sind kapitalistisch“) und zur Durchsetzung der imperialen Herrschaft der USA entschlossen ist. Sie sind strukturell unempfänglich für Reformen von links.

Bis zum Aufstieg Trumps waren die Demokraten das B-Team der herrschenden Klasse, die auflaufen durften, wenn sich ihr A-Team, die Republikaner, selbst diskreditiert hatte. Die Rolle der Demokraten bestand darin, die Linke, die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen einzubinden und zu neutralisieren und die Bildung jeglicher Art von linker Alternative zu verhindern und solchen Widerstand in den Grenzen des Zweiparteiensystems zu halten.


Liz Cheneys Demokratische Partei


Aber jetzt, da die Republikaner von einem unberechenbaren Möchtegern-Diktator dominiert werden, dessen verrückte Wirtschaftsvorstellungen den US-Kapitalismus und -Imperialismus untergraben würden, betrachtet die herrschende Klasse – vor allem einschließlich ihrer außen- und sicherheitspolitischen Expert:innen – die Demokratische Partei als ihr A-Team. Unter der Biden/Harris-Regierung wollten sie keine progressive Alternative schaffen, sondern den US-Kapitalismus erneuern, die imperialistische Hegemonie der USA gegen China und Russland wiederherstellen und die Legitimität der Machtelite gegen Anfeindungen von rechts und links wieder durchsetzen.

Jeder, der an dieser Charakterisierung zweifelt, sollte sich Harris' Debatte mit Trump noch einmal ansehen. Sie versprach zwar, den Status quo ante beim Abtreibungsrecht wiederherzustellen, und wandte sich gegen die rassistischen Tiraden und Taten ihres Gegners, verbrachte aber den Großteil ihrer Zeit damit, rechte Positionen zu vertreten.

Sie versprach, „unser“ Militär zur „tödlichsten Kampftruppe der Welt“ zu machen, um sicherzustellen, dass der US-Imperialismus und nicht China „den Wettstreit um das 21. Jahrhundert gewinnt“. Sie versprach auch, ein republikanisches „Grenzsicherheitsgesetz“ umzusetzen, um Migrant:innen zurückzudrängen, eine „Law and order“-Politik zu verfolgen, um „gegen Gewaltverbrechen vorzugehen“ und grünes Licht für mehr Fracking zu geben, genau wie Biden es mit seinem Inflation Reduction Act getan hat.

Diese Positionen waren nicht, wie Elbaum behauptet, Beispiele für ein Einknicken vor der MAGA-Rechten, sondern solche, die schon lange von der Demokratischen Partei vertreten wurden: Sie begann die meisten Kriege Washingtons im 20. Jahrhundert; sie hat Israel jahrzehntelang mit Billionen von Dollar jährlich bewaffnet, einschließlich der jüngsten Zuweisungen zur Unterstützung des Völkermords; sie half unter Clinton bei der Militarisierung des Grenzregimes und deportierte unter Obama so viele Menschen, dass er den Spitznamen „Chef-Abschieber“ erhielt; sie arbeitete mit den Republikanern bei der „Law and order“-Hysterie zusammen, die zu überfüllten Gefängnissen führte; und unter der Biden/Harris-Regierung hat sie Bohrungen und Fracking von fossilen Brennstoffen auf einen Höchststand in der Geschichte der USA gebracht.

Die Demokraten sind keine „klassenübergreifende Koalition“ oder eine sozialdemokratische Partei, sondern eine kapitalistische … Sie werden vom Großkapital finanziert, streng kontrolliert von einer Parteibürokratie, die sich dem Erhalt des Systems verschrieben hat … und sind zur Durchsetzung der imperialen Herrschaft der USA entschlossen.

 

Nur der Vergleich mit Trump lässt die Demokraten als etwas kleiner als das absolute Übel erscheinen. Und Harris orientiert sich – statt sich gegen Rechts zu stellen – strategisch auf das Establishment ihrer Partei, indem sie in ihrem Wahlkampf Unterstützung von Rechten wie Liz Cheney, Kriegsverbrechern wie deren Vater Dick Cheney und einer Liste anderer Widerlinge erbittet, die Elbaum und andere auf der Linken einst als gefährliche Reaktionäre in Regierungsverantwortung verurteilten.

In der Tat ist Liz Cheney überglücklich, die Kandidatin der Demokraten als Mitglied der Rechten zu begrüßen. Sie sagte zu ABC News:

[Harris' Grundsatzrede auf dem Parteitag der Demokraten] „ist eine Rede, die Ronald Reagan hätte halten können. Es ist eine Rede, die George Bush hätte halten können. Sie war geprägt von einer Liebeserklärung und viel Verständnis für den außergewöhnlichen Charakter dieser großen Nation, eine Liebe zu Amerika, eine Anerkennung, dass Amerika ein besonderer Ort ist.“


Unterschätzte Chancen und Verantwortlichkeiten


Elbaum unterschätzt nicht nur unsere missliche Lage als Gefangene dieser beiden Parteien der herrschenden Klasse, er unterschätzt auch die Möglichkeiten, die die Linke heute hat. Seine Position leidet unter einem tiefgreifenden Defätismus, der nicht unsere enormen Möglichkeiten und die daraus sich ergebende Verantwortung wahrnimmt.

Seit der Großen Rezession [nach 2008], die einen globalen Einbruch ausgelöst hat, haben unsere Gesellschaft und fast alle anderen auf der ganzen Welt einige der größten Massenaufstände erlebt, einschließlich politischer Revolutionen, die Regierungen gestürzt haben, zuletzt in Bangladesch. Hier in den USA haben wir die Explosion von Occupy, die Aufstände von Black Lives Matter in den Jahren 2014 und 2020, Massenaktionen zur Verteidigung der Migrantenrechte, die „Red State Teachers“-Revolte und den Sieg der [Gewerkschaft] UAW über die Großen Drei [Autokonzerne] erlebt.

Vielleicht am wichtigsten ist, dass die Explosion der Solidarität mit Palästina in Städten und Universitäten im ganzen Land seit letztem Oktober die Opposition gegen den US-Imperialismus und die Demokratische Partei in den Mittelpunkt des linken Pols der politischen Radikalisierung gestellt hat. Die unermüdlichen Proteste gegen „Genocide Joe“ spielten eine wesentliche Rolle dabei, seinen Wahlkampf zu untergraben, und zwangen die Demokraten, ihn durch Harris zu ersetzen.

Wir befinden uns also in einem frühen Stadium des Wiederaufbaus einer kämpferischen Minderheit unter Arbeiter:innen, unterdrückten Gruppen und einer ganzen Generation junger Menschen. Unser Problem ist bisher, dass die bestehenden Organisationen der Arbeiterklasse und anderer Unterdrückter in der Regel schwach und oft von Geldgebern und Gönnern abhängig sind, die an die Demokratische Partei gebunden sind. Wir müssen daher neue, unabhängige Massenorganisationen und eine eigene politische Partei gründen, um Kämpfe an Arbeitsplätzen, in den Stadtteilen und bei Wahlen zu führen.

 

„Ende aller Besatzung JETZT“

Washington DC, 8.10.2023 (Foto: Ted Eytan)

Die Linke muss, wenn sie eine Rolle in unserer Gesellschaft spielen will, die historische Chance erkennen, die sich in dieser Epoche der Krise, des Kampfes und der Radikalisierung ergibt, und muss sie nutzen. Stattdessen plädiert Elbaum dafür, dass neu die entstehende Linke ihre Ressourcen dafür verwendet, die gleiche ausgeleierte Strategie zu verfolgen, die in der Vergangenheit gescheitert ist. Er war – wie der Rest der alten und neuen Linken – so lange Geisel dieser Position, dass er jetzt unter dem Stockholm-Syndrom leidet.


Falsche Darstellung des Gegners


Tempest versucht, einen anderen Kurs einzuschlagen, und beginnt, bei neuen Radikalen an Zugkraft zu gewinnen, insbesondere bei denen, die sich über die Unterstützung der Demokraten für Israels Völkermordkrieg empören. Vielleicht provozierte dies Elbaum, mit solch herablassender Bösartigkeit zu reagieren. Es überrascht nicht, dass er unsere Position falsch darstellt und sie lächerlich macht.

Er wirft uns politische Feigheit vor, weil wir nicht zu einer Stimmabgabe für Harris aufrufen, als ob das der Kern unserer Position wäre. In zahlreichen Artikeln zur Frage der Demokratischen Partei und der sozialistischen Strategie haben wir eine differenzierte Argumentation dargelegt, die viel entwickelter ist als Elbaums Pappkamerad. Wir stellen die vorherrschende politische Linie in Frage, die die Linke seit Jahrzehnten verfolgt hat, nämlich nicht nur für die Demokraten zu stimmen, um die Rechte zu stoppen, sondern auch unsere kostbaren und begrenzten Ressourcen – finanzielle, menschliche, politische und moralische – für den Wahlkampf für sie zu verschwenden.

Wie oft haben wir von Elbaum und anderen gehört, dass wir alles andere fallen lassen und mit Klinkenputzen [für die Demokraten] den Faschismus stoppen müssen? Es ist zu einem solchen Klischee geworden, dass es jetzt klingt wie der Hirtenjunge, der ruft: „Der Wolf ist da“. Tatsächlich haben uns die Republikaner in der Vergangenheit nicht den Faschismus gebracht.

Aber wir leugnen nicht, dass Trumps Transformation der Partei dies zu einer Möglichkeit in den kommenden Jahren gemacht hat. Um es klar zu sagen: Trump ist kein Faschist, und die Republikanische Partei ist nicht faschistisch. In ihr gibt es heute allerdings eine faschistische Minderheit, die beginnt, Banden von Straßenkämpfern zu organisieren, um die Linke, Gewerkschaften und unterdrückte Menschen physisch anzugreifen.

Als Sozialist:innen engagieren wir uns für einen Kampf für demokratische Rechte, ein Prinzip, das die Demokraten und ihre Verbündeten in den Universitätsverwaltungen im ganzen Land bereit sind, aufzugeben, um Israels völkermörderischen Krieg gegen Palästina zu unterstützen. Wir teilen mit allen in den USA die Angst vor der Bedrohung, die Trump und diese Faschisten darstellen, und wir sind fest entschlossen, sie zu bekämpfen. Wir verstehen und sympathisieren mit Menschen, die aus dieser Angst für Harris stimmen werden. Über individuelle Entscheidungen, die Menschen an der Wahlurne treffen, diskutieren wir nicht und werden es auch in Zukunft nicht tun.

Wir teilen mit allen in den USA die Angst vor der Bedrohung, die Trump und diese Faschisten darstellen, und wir sind fest entschlossen, sie zu bekämpfen … Aber wir glauben nicht, dass unser Eintritt in den Wahlkampf für Harris und die Demokraten den Aufstieg der extremen Rechten aufhalten wird.

 

Aber wir glauben nicht, dass unser Eintritt in den Wahlkampf für Harris und die Demokraten den Aufstieg der extremen Rechten aufhalten wird. Die Demokraten wollen das kapitalistische System im Interesse der herrschenden Klasse stützen, auch wenn sie einige fortschrittliche Reformen versprechen, von denen sie die meisten nicht umgesetzt haben und dies ohne Massenkampf von unten auch nicht tun werden.

Davon abgesehen wird eine Harris/Walz-Regierung am eigentlichen Problem nichts ändern – dem krisengeschüttelten kapitalistischen System, das der Nährboden für das Wachstum der neuen extremen Rechten ist. Wenn Harris gewinnt, wird sie bestenfalls einer gespaltenen Regierung vorstehen, die sie daran hindern wird, ihre Handvoll versprochener fortschrittlicher Reformen wie die Festschreibung des Rechts auf Abtreibung als nationales Recht zu verabschieden. Wenn die Linke nicht für ihre Forderungen kämpft und sich als Alternative positioniert, wird die Rechte ihre Kräfte zu einer immer größeren Bedrohung unserer bereits gefährdeten demokratischen Rechte sammeln.

Was auch immer ein Individuum an der Wahlurne tut – ob einfach aus Angst oder als selbsterdachte Taktik – wir brauchen eine andere Strategie, um sowohl die Trump-Republikaner als auch das durch die Demokratische Partei vertretene kapitalistische Establishment zu besiegen. Wir kämpfen dafür, dass unsere Massenorganisationen – politische Gruppen, Gewerkschaften und Organisationen sozialer Bewegungen – unsere Zeit, unser Geld und unsere Energie nicht darauf verwenden, für die Demokraten zu werben.

Stattdessen sollten wir all das für den Organisationsaufbau , für Demonstrationen, direkte Aktionen, die Organisierung von Arbeiter:innen und die Unterstützung von Streiks wie dem jüngsten gegen Boeing einsetzen. Sozialist:innen sollten sich auf solche Kämpfe von unten konzentrieren, eine neue bei Arbeiter:innen und Unterdrückten verankerte kämpferische Minderheit aufbauen und aus diesem Prozess eine eigene neue sozialistische Partei schmieden.

So befürworten wir, im Gegensatz zu der von Elbaum gezeichneten Karikatur, die Bildung einer Wahlpartei, um gegen die Parteien unserer Klassenfeinde an der Wahlurne anzutreten. Tatsächlich haben wir in der Vergangenheit und in der Gegenwart immer wieder eine solche Partei gefordert.

Aber bei dieser Wahl haben wir keine geeinte Linke, die sich für einen Wahlkampf begeistert. Stattdessen haben wir mehrere, die miteinander konkurrieren und denen es an Unterstützung durch Massenorganisationen der Linken mangelt, insbesondere von Gewerkschaften und Organisationen sozialer Bewegungen. Wir haben nicht annähernd etwas wie die Neue Volksfront der französischen Linken, die unsere Seite sowohl gegen das kapitalistische Establishment von Emmanuel Macron als auch gegen die extreme Rechte von Marine Le Pen geeint hat.

 

Joe Biden vor Streikenden der UAW

Foto: The White House, 2023

Angesichts dieser Tatsache müssen wir die Klassen- und sozialen Kräfte organisieren und sie für den Aufbau einer neuen Partei gewinnen. Diese Partei sollte zwar Wahlen nutzen, aber sie darf sie nicht als ihre Priorität betrachten. Warum? Weil nur eine Veränderung des Kräfteverhältnisses der Klassen und der sozialen Kräfte, d. h. eine Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses, es uns ermöglichen wird, Reformen durchzusetzen und eine Partei in die Lage zu versetzen, eine echte politische und soziale Revolution anzuführen. Unabhängige Wahlkämpfe sollten Klassen- und sozialen Kämpfen eine Stimme geben, anstatt sie zu ersetzen.


Lehren und Hinterlassenschaft von „Block and Build“


Elbaums Strategie, die Demokraten als kleineres Übel zu unterstützen, wird dieses Projekt behindern und nicht voranbringen. Er stellt seine Position falsch dar, so als würde er einfach eine Stimmabgabe für Harris fordern. Wenn das die Gesamtheit von Elbaums Position wäre, würden wir unsere Zeit nicht mit einem Streit mit ihm verbringen, sondern unsere Position darlegen und wären uns darin einig, anderer Meinung zu sein.

Aber seine „Block and Build“-Strategie plädiert, wie alle Varianten des kleineren Übels, nicht nur dafür, dass die Linke für Harris stimmt, sondern auch dafür, unsere Zeit, unser Geld und unsere Energie dafür aufzuwenden, für sie zu werben und alles zu tun, was wir können, um ihren Sieg zu sichern. Für Elbaum und andere [1] ist die Wahl der Demokraten die Voraussetzung dafür, dass die Linke Raum für sich selbst, soziale Bewegungen und den Klassenkampf schafft.

In Wirklichkeit hat die „Block and Build“-Strategie ihre erklärten Ziele nicht erreicht und wird dies auch nie schaffen. Stattdessen desorganisiert sie die Linke und stärkt die Rechte. Wenn die Linke und die Massenorganisationen der arbeitenden und unterdrückten Menschen für die Demokraten werben, bedeutet dies unweigerlich, dass weniger Ressourcen, wenn überhaupt, für die Aufklärung und Organisierung gegen einen unserer Feinde aufgewendet werden.

Wenn die Linke für dieses kleinere Übel plädiert, verstummt unweigerlich ihre Kritik an den Demokraten und verwandelt sich absehbar in Hochjubeln, wenn man behauptet, sie seien „eine Alternative“. Das übelste Beispiel für diese häufig anzutreffende Entwicklung ist Alexandria Ocasio Cortez (AOC).

Erinnern wir uns daran, dass sie als Rebellin begann, die im Windschatten von Sanders als Kandidatin auftrat, die das Establishment der Demokratischen Partei angriff und so weit ging, sich einem Sit-in anzuschließen, das von Sunrise in Nancy Pelosis Büro organisiert wurde. Schnell jedoch gab sie diesen symbolischen Radikalismus auf und begann, Pelosi ihre „Mama Bärin“ zu nennen.

Lenin als Kronzeuge?

Elbaum versucht, seine alte, gescheiterte Strategie mit Zitaten des russischen Revolutionärs Wladimir Lenin zu verbrämen, die aus ihrem historischen Kontext gerissen und missbraucht wurden, um jeden anzuklagen, der für eine Alternative zu den beiden kapitalistischen Parteien plädiert. Das ist nichts Neues: Jahrzehntelang hat die Kommunistische Partei Lenins Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus falsch zitiert, um die Wahl einer kapitalistischen Partei zu rechtfertigen. Heute holt Elbaum Lenin-Zitate aus den Debatten über die Militärstrategie der Bolschewiki heraus. In diesem Zusammenhang kritisiert Lenin einige Sozialisten dafür, dass sie revolutionäre Phrasen und Rhetorik verwenden, um eine zum Scheitern verurteilte Strategie zur Ausweitung des Krieges gegen Deutschland zu rechtfertigen, anstatt die Notwendigkeit eines vorübergehenden Kompromisses zu akzeptieren, um sich auf zukünftige revolutionäre Kämpfe vorzubereiten. Das hat nichts damit zu tun, Demokraten, eine kapitalistische Partei, zu wählen oder nicht zu wählen. In dieser Frage waren Lenin wie Marx, Engels, Luxemburg und die meisten anderen revolutionären Sozialisten dagegen, für bürgerliche Parteien zu stimmen, sie zu unterstützen und für sie zu werben. Tatsächlich war sein klarer Ruf immer nach Klassenunabhängigkeit, auch wenn er nach der Niederlage der Revolution von 1905 vor der Wahl zwischen der bürgerlich-liberalen Kadettenpartei und der brutalsten Reaktion in ihrer russischen Form stand, den Schwarzen Hundertschaften.

Er erklärte: „Die Arbeiterpartei warnt daher die Massen vor den Wahlmachenschaften, die die Kadettenbourgeoisie hinter den Kulissen betreibt, sie warnt vor ihrem das Bewußtsein lähmenden Geschrei: Vertraut uns, den Advokaten, Professoren und aufgeklärten Gutsbesitzern, den Kampf gegen die Schwarzhundertergefahr an!“ Und er schreibt weiter: „Die Propagandisten von Blocks mit den Kadetten schaden nicht nur dem Proletariat und der ganzen Sache der Freiheit, sie schaden auch der Entwicklung des Bewußtseins der kleinbürgerlichen und bäuerlichen Armut. Sie erfüllen nicht ihre unmittelbare Pflicht: diese vom Einfluß der liberalen Bourgeoisie zu befreien.“ Um sicher zu sein, dass er nicht missverstanden wurde, endete er mit der Parole „Nieder mit allen Blocks! Die Arbeiterpartei muß in ihrer Wahlkampagne in der Tat und nicht nur in Worten selbständig sein. Sie muß dem ganzen Volk und besonders der ganzen proletarischen Masse das Beispiel einer grundsätzlichen, standhaften und mutigen Kritik geben. So und nur so werden wir die Massen für die wirkliche Teilnahme am Kampf um die Freiheit gewinnen und nicht für den Kasperleliberalismus der kadettischen Verräter an der Sache der Freiheit.“ [LW 11, 419]

 

Auch in den USA hat diese Strategie in jüngerer Zeit nicht funktioniert. In den 1980er Jahren untergrub der Versuch der Linken, eine „Regenbogenkoalition“ innerhalb der Demokratischen Partei zu schmieden, die Linke, einschließlich der New Communist Movement, und lieferte ihre Überreste an eine Partei aus, die von neoliberalen Reaktionären wie Bill Clinton regiert wurde. Mit dem Rückgang von Klassen- und sozialen Kämpfen und der Aufgabe unabhängiger Politik durch die Linke sahen sich die beiden kapitalistischen Parteien, das kleinere und das größere Übel, wenig Widerstand gegenüber und bewegten sich als Ganzes so weit nach rechts, dass Liz Cheney heute Harris als Reaganistin feiern kann.

Die Erfolgsbilanz von „Block and Build“ seit dem Aufstieg der neuen Trumpistischen Republikaner ist ebenfalls katastrophal. Auf dem Höhepunkt einer fünfzehn Jahre dauernden Welle von Kämpfen folgten die Linke, die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen Bernie Sanders darin, Hillary Clinton und dann Joe Biden zu unterstützen, alles in der Hoffnung, Trump und die Rechte zu blockieren.

Aber die Unterstützung des kleineren Übels hat den Aufstieg der Rechten in den USA nicht blockiert. Trump und die Republikaner überlebten alle Verfahren und Verurteilungen, sammelten sich mit einem stark weiterentwickelten Programm im Projekt 2025, organisierten ihre Truppen und erweiterten ihre Basis. Sie hat auch nicht die Linke, soziale Bewegungen und Gewerkschaften aufgebaut.

Stattdessen verzichtete unsere Seite auf die Opposition gegen Biden und die Demokraten und hörte im Großen und Ganzen auf, für unsere radikalen Forderungen zu kämpfen. Das tragischste Beispiel war Black Lives Matter vor vier Jahren.

Im Frühjahr und Sommer 2020 erlebten die USA die größte soziale Bewegung ihrer Geschichte – den George-Floyd-Aufstand gegen rassistische Polizeimorde. Die Demokratische Partei hat die Bewegung jedoch praktisch gekapert, sie dazu gebracht, ihre Forderungen aufzugeben, und Aktivisten umgeleitet, um für Biden gegen Trump zu werben.

Die Bewegung brach zusammen und hinterließ wenig organisatorische Infrastruktur. Einmal im Amt und ohne Widerstand von links rückte Biden vom halbherzigen Versprechen einer „Polizeireform“ ab, um die Demokraten als eine der beiden Parteien von „Law and order“ zu positionieren.

 

Wenn die Linke für dieses kleinere Übel plädiert, verstummt unweigerlich ihre Kritik an den Demokraten und verwandelt sich absehbar in Hochjubeln, indem sie diese im bestmöglichen Licht darstellt, wie Elbaum es tut, wenn er behauptet, sie seien „eine Alternative“.

Vier Jahre später rühmt sich Harris, die in ihrer Vorwahlkampagne 2020 noch versucht hatte, ihre brutale Karriere als Staatsanwältin wegzuerklären, nun damit, Menschen ins Gefängnis geworfen zu haben. Der Niedergang von Black Lives Matter war keine Ausnahme, sondern die Regel bei den meisten anderen Klassen- und sozialen Kämpfe, die sich unter Biden weitgehend selbst demobilisierten. Infolgedessen hatten die Demokraten freie Hand bei der Umsetzung ihres – nicht unseres – Programms und passten sich nach rechts an, in der Hoffnung, ihre zunehmend tollwütigen Gegner zu neutralisieren.

Sie wurde dann das wichtigste Sprachrohr der Linken für Bidens Wiederwahl, bejubelte ihn inmitten des Völkermords als „einen der erfolgreichsten Präsidenten der modernen amerikanischen Geschichte“ und verteidigte ihn bis zuletzt gegen diejenigen, die seinen Ersatz durch Harris forderten, die sie als Lockvogel für Spender:innen verunglimpfte.

Aber nach der Palastrevolte des Establishments gegen Biden verwandelte sich AOC in einen linken Lautsprecher für Harris und sicherte sich als Belohnung einen Platz auf der Redeliste des Parteitags zur besten Sendezeit. In ihrer Rede stellte sie Harris als Verteidigerin der arbeitenden Klasse dar und behauptete ohne den Hauch eines Beweises, dass die Vizepräsidentin „unermüdlich an einem Waffenstillstand in Gaza arbeite“. Das Time Magazine nutzte die Gelegenheit, um ihre Verwandlung vom „Außenseiter der Demokratischen Partei zum Gesicht ihrer Zukunft“ herauszustellen.

Das Abgleiten der Linken von der Taktik des „kleineren Übels“ zum Hochjubeln ermöglicht es der Demokratischen Partei, sich nach einer gewonnenen Wahl weiter nach rechts zu bewegen, vage Versprechen zu brechen und eine Politik umzusetzen, die das Kapital stärkt und die Bedingungen der arbeitenden und Mittelklassen verschlechtert. Da die Unzufriedenheit vor allem unter Kleinunternehmern und abstiegsbedrohten (leitenden) Angestellten zunimmt, erscheint als die einzige Alternative die extreme Rechte mit ihren reaktionären „mach die anderen Opfer zu Sündenböcken“-Lösungen für die kapitalistische Krise.

Die Geschichte ist voller Beispiele vom Scheitern solcher Strategien wie der von Elbaum. Das klassische Beispiel war in Deutschland der Kampf gegen Hitler und seine NSDAP. Die Sozialdemokraten unterstützten General Paul von Hindenburg bei der Präsidentschaftswahl 1932, um den Aufstieg der Nazis zu verhindern, nur um zu erleben, dass Hindenburg Hitler zum Kanzler Deutschlands ernannte.

      
Mehr dazu
Dan La Botz: Warum wir Trump besiegen müssen, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (Online-Vorabdruck). Auch bei intersoz.org.
Howie Hawkins: Sozialistische Unterstützung der Green Party, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (nur online).
Malik Miah: Harris, Trump oder keiner von beiden?. Die Wut der arabischen und muslimischen Wähler:innen wächst, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (nur online).
Dan La Botz: Faschismus-Vorwurf – verwirrend für amerikanische Wähler:innen, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (nur online).
Manuel Kellner: Trump steht für Bürgerkrieg, intersoz.org (21.10.2024)
David Finkel: Grand Theft Election – Schwerer Wahldiebstahl?, die internationale Nr. 1/2021 (Januar/Februar 2021) (nur online).
Büro der Vierten Internationale: Trumps Niederlage bremst weltweit den Aufschwung der autoritären Rechten, die internationale Nr. 1/2021 (Januar/Februar 2021). Auch bei intersoz.org.
Dianne Feeley: Das Großkapital und die Wahlen 2020, die internationale Nr. 6/2020 (November/Dezember 2020) (nur online). Auch bei intersoz.org.
Redaktionskollektiv von „Against the Current“ (USA): Nach dem Trumpeltier, die internationale Nr. 6/2020 (November/Dezember 2020) (nur online). Auch bei intersoz.org.
Lenkungsausschuss der Solidarity: Die Linke aufbauen, um die Rechte zu besiegen, Inprekorr Nr. 6/2016 (November/Dezember 2016) (nur online).
Nationales Komitee von Solidarity : Für Jill Stein und eine unabhängige Politik, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016).
Erklärung von Solidarity: Zur Kandidatur von Bernie Sanders, Inprekorr Nr. 2/2016 (März/April 2016) (nur online).
Links von der Demokratischen Partei – die radikale Linke, Inprekorr Nr. 394/395 (September/Oktober 2004).
 

Ein weiterer klassischer Fall geschah in Spanien während des Bürgerkriegs in den 1930er Jahren. Die Kommunistische Partei hielt die sozialistische Revolution zurück und unterstützte die kapitalistische Republik gegen Franco, demoralisierte damit ihre Anhänger:innen unter den Arbeitern und Bauern und verlor gegen die Faschisten.

So sind heute die Linke, soziale Bewegungen und Gewerkschaften insgesamt schwächer, unorganisierter und weniger zuversichtlich. Und Trump und der Trumpismus sind eine größere Bedrohung als je zuvor. Was auch immer der Ausgang der Wahl sein mag, der im Moment sehr knapp erscheint, können wir sicher davon ausgehen, dass über 70 Millionen Menschen in diesem Land für Trump stimmen werden.

So wird die extreme Rechte nicht verschwinden, sondern tatsächlich zu einer größeren Bedrohung werden. Wenn Trump gewinnt, wird er versuchen, sein autoritäres „Project 2025“ umzusetzen, und wenn er verliert, wird er die Legitimität der Wahl im Kongress, vor den Gerichten und bei Massenprotesten, einschließlich einer möglichen Wiederholung des 6. Januar, in Frage stellen. So oder so scheinen wir auf eine Verfassungskrise entgegenzusteuern, in der traditionelle Strategien wie die von Elbaum wie urige Relikte einer vergangenen Ära wirken werden.


Zeit für eine neue Strategie


Wir müssen unseren eigenen Kurs entwickeln, der unseren konkreten historischen und nationalen Umständen entspricht und auf der marxistischen Theorie (siehe Kasten) und den Lehren der Geschichte basiert. Elbaums „Block and Build“-Strategie hat sich als Sackgasse erwiesen. Sie ist daran gescheitert, die Rechte zu blockieren, den Klassen- und sozialen Kampf voranzutreiben und die Linke aufzubauen. Es ist an der Zeit, sie in den Mülleimer der Geschichte zu werfen, wo sie als Beweis für die katastrophalen Folgen der Aufgabe der Klassenunabhängigkeit und der Unterstützung von und noch schlimmer zum Beitritt zu liberal-bürgerlichen Parteien hingehört.

Die sozialistische Linke muss sich der Realität stellen und eine neue Strategie verfolgen. Unabhängig davon, was die Menschen an der Wahlurne tun, sollten wir uns nicht für Harris und die Demokraten einsetzen, sondern den Klassenkampf und die sozialen Bewegungen und vor allem die Solidarität mit Palästina aufbauen.

In diesen Kämpfen müssen Sozialist:innen eine neue kämpferische Minderheit schmieden und sie für den Aufbau einer neuen sozialistischen Partei begeistern. Unabhängig vom Ausgang der Wahl ist Tempest bestrebt, mit allen Linken, einschließlich Elbaum und seinen Genoss:innen, zusammenzuarbeiten, um eine eigene Partei aufzubauen. Mehr denn je haben wir eine Welt zu gewinnen und nichts zu verlieren als unsere Ketten, einschließlich derjenigen, die uns an die Demokratische Partei fesseln.

Quelle: tempestmag.org
Überssetzung: Björn Mertens



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[1] Siehe etwa den Artikel https://www.thenation.com/article/politics/democratic-party-the-left/