USA

Warum wir Trump besiegen müssen

Als Vizepräsidentin Kamala Harris Kandidatin der Demokratischen Partei wurde, gab es zuerst einen Seufzer der Erleichterung und dann einen Ausbruch der Begeisterung in der Demokratischen Partei. Viele sagten: „Jetzt können wir vielleicht gewinnen.“

Dan La Botz

Nach dem katastrophalen Auftreten von Präsident Joe Biden in seiner ersten Debatte mit dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump und danach dem gescheiterten Attentatsversuch, den viele seiner evangelikalen Anhänger als Ergebnis göttlichen Eingreifens betrachteten, schien es keinen Weg zu geben, Trump daran zu hindern, die Präsidentschaft zu gewinnen. Das war ein erschreckender Gedanke, da die meisten von uns auf der Linken im weitesten Sinne befürchten, dass wir im Falle seines Siegs in eine Periode des Autoritarismus eintreten würden, den Vorraum des Faschismus. Deshalb glauben viele von uns, dass wir für Kamala Harris stimmen müssen. Und sie könnte gewinnen. Kamala Harris’ Auftakt der Kampagne, die erst am 21. Juli begann, war phänomenal. In den ersten Tagen gab es eine Zoom-Konferenz mit 40 000 schwarzen Unterstützerinnen.

 

Demonstration in New York City

Block der AFT, der Lehrer:innengewerkschaft der USA (Foto: SWinxy, September 2024)

Führer:innen der Demokratischen Partei, Spender:innen und Influencer sammelten sich schnell um Harris, deren Kampagne die Demokratische Partei einte. In kaum einer Woche sammelte sie etwa 300 Millionen Dollar und hielt riesige Kundgebungen ab mit unglaublichem Enthusiasmus, so groß wie die von Trump. Sie wählte den fortschrittlichen Tim Walz als ihren Vizekandidaten. Während ich dies am 10. August schreibe, stellte die New York Times/Sienna Poll fest, dass Harris vor Trump in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania um fünf oder sechs Punkte führe, drei umkämpften Staaten, in denen Präsident Joe Biden bisher hinter ihm lag. Die Aussicht, die erste asiatische und erste schwarze Frau zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu wählen, hat viele Teile der Basis der Demokratischen Partei und Unabhängige begeistert. Viele Frauen sind elektrisiert, eine Kandidatin zu unterstützen, die die erste Präsidentin werden könnte. Schwarze Menschen sind auch begeistert, eine Frau zu unterstützen, die sich als schwarze Kandidatin identifiziert, und junge Wähler sind jetzt voller Energie. Auch viele Südasiat:innen freuen sich über ihre Kandidatur, obwohl sie nur ein oder zwei Prozent aller Wähler ausmachen.

Ich möchte betonen, dass ich, wie praktisch jedes Mitglied von Solidarity, der Idee treu bleibe, dass wir eine unabhängige politische Partei der Arbeiterklasse mit einem sozialistischen Programm schaffen müssen — obwohl, wie wir aus den Erfahrungen mit der Labor Party (der 1990er Jahre), die jetzt nicht mehr existiert, und der Grünen Partei wissen, dass die politischen Spielregeln dies extrem schwierig machen. Anders als die DSA glaube ich nicht, dass die Linke eine strategische Ausrichtung auf die Demokratische Partei haben sollte. Ich denke, dass jahrzehntelange Versuche, die Demokraten zu reformieren oder neu auszurichten, gescheitert sind und es auch künftig kaum Aussichten auf Erfolg gibt. Aber wegen der Bedrohung durch den von Trump verkörperten Autoritarismus meine ich heute, wie ich bereits 2020 bei meiner Unterstützung für Biden argumentierte, dass wir die Kandidatin der Demokratischen Partei, Kamala Harris, unterstützen müssen.


Die Fakten


Aber wenn ich denke, dass wir für Harris stimmen sollten, liegt es nicht daran, dass sie in irgendeiner Weise fortschrittlich wäre. Einige Progressive der Demokratischen Partei argumentieren, dass eine Stimme für Harris selbst progressiv sei, weil sie eine schwarze/asiatische Frau ist. Während ich, wie viele Amerikaner:innen, eine farbige Frau als Präsidentin sehen möchte, sollten wir aus der Erfahrung von Barack Obama gelernt haben, dass eine farbige Person nicht unbedingt eine fortschrittlichere Politik bedeutet. Und die Rolle von Frauen wie Außenministerin Madeleine Albright und Hillary Clinton machten deutlich, dass das Geschlecht nicht die Politik bestimmt. Beide setzten die imperialistische Politik der USA um.

Tatsächlich war Harris nie eine, die für fortschrittliche Positionen gestanden oder für sie gekämpft hätte. Sie war noch nie Vorkämpferin irgendeiner progressiven Politik. Ähnlich wie der ehemalige Präsident Barack Obama, mit dem sie oft verglichen wird, hat sie politische Kontroversen sorgfältig vermieden. In ihren früheren Ämtern, sei es als Generalstaatsanwältin von Kalifornien, US-Senatorin oder Vizepräsidentin, hat sie als Moderate gehandelt und abgestimmt. Vizepräsidenten haben in der Vergangenheit nie ihre eigenen Ansichten geäußert, und das hat auch Harris nicht getan. Innenpolitisch unterstützte sie Bidens liberale Wirtschafts- und Sozialprogramme, die bedeutendsten seit einem halben Jahrhundert. Die bemerkenswertesten waren der American Rescue Plan Act (1,9 Billionen US-Dollar) zur Unterstützung von Unternehmen und Arbeitnehmern während der COVID-19-Pandemie, der Infrastructure Investment and Jobs Act (1,2 Billionen US-Dollar) und der Inflation Reduction Act (369 Milliarden US-Dollar) zur Bewältigung von Klimafragen.

In der Einwanderungspolitik hatte sie eine gemischte Bilanz: Als kalifornische Generalstaatsanwältin und als Vizepräsidentin unterstützte sie Bidens Einwanderungs- und Grenzschutzpolitik voll und ganz. Diese Politiken verstoßen gegen US-amerikanisches und internationales Recht, weil dadurch vielen die Möglichkeit genommen wird, in das Land einzureisen und Asyl zu beantragen, indem Barrieren aufgebaut werden, Menschen ohne ordnungsgemäßes Verfahren festgenommen und ausgewiesen werden oder viele jahrelang in einer rechtlichen Schwebe bleiben. Während sie damit beauftragt wurde, sich um die Wurzeln des Einwanderungsproblems in Lateinamerika zu kümmern, insbesondere in El Salvador, Guatemala und Honduras – eine undankbare und schier unlösbare Aufgabe, da es bedeutet, die Ergebnisse jahrzehntelanger US-Kriegsführung, neoliberaler Politik, korrupter autoritärer Regierungen und der Verbreitung von Kartellen und Banden irgendwie zu korrigieren – konnte sie nur lächeln und einigen NGOs ein wenig Hilfe leisten.

Harris ist eine erklärte Verteidigerin des Abtreibungsrechts und die erste hochrangige Mandatsträgerin, die den Mut hatte, eine Abtreibungsklinik zu besuchen. Es gibt keinen Zweifel, dass ihre Verteidigung des Rechts der Selbstbestimmung über die eigene Fortpflanzung ihr große Sympathie bei vielen Frauen eingebracht hat. Doch dies ist eine Verteidigung eines bundesstaatlich geschützten Rechts – des Rechts, sich unter bestimmten Umständen für eine Abtreibung zu entscheiden, das nun verloren gegangen ist. Es ist ein Kampf für die Wiederherstellung des Status quo ante, keine neue progressive Position. Man wird von ihr nicht erwarten, dass sie für kostenlose Abtreibungen auf Verlangen kämpft oder für kostenlose Pillen danach, für die, die es wünschen. Harris wird auch für Bidens Unterstützung der Automobilgewerkschaft United Auto Workers und ihres erfolgreichen Streiks im Herbst 2023 gelobt, die sie nun nutzt, wenn sie vor UAW-Publikum spricht.

(Fiktive) Verhaftung von D. Trump

KI-generiertes Foto: ChatGPT

 

Außenpolitisch war sie uneingeschränkt mit Bidens Unterstützung für Israel und seinen Krieg gegen Gaza, die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Invasion und die Ablehnung der rivalisierenden imperialen Ambitionen Chinas einverstanden. Harris' Ruf, in Bezug auf Israel fortschrittlicher zu sein, beruht auf Aussagen, die sie wenige Tage nach ihrem Treffen mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu machte: „Was in den letzten neun Monaten in Gaza geschah, ist verheerend […] Die Bilder von toten Kindern und verzweifelten, hungrigen Menschen, die auf der Flucht zu einem sicheren Ort sind und manchmal zum zweiten, dritten oder vierten Mal vertrieben wurden – wir können angesichts dieser Tragödien nicht wegsehen.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich werde nicht schweigen.“ Gut, aber sie hat nicht gesagt, wie sie die US-Politik ändern würde, wenn überhaupt. Doch obwohl sie eine Mainstream-Demokratin ist mit allem, was dazu gehört – eine Unterstützerin des amerikanischen Kapitalismus und Imperialismus, eine Person, die von den Banken und Konzernen abhängig ist, eine, die Oberbefehlshaberin des größten und immer noch aggressivsten Militärapparats der Welt werden wird –, sollten wir für sie stimmen, denn die Alternative ist viel schlimmer.


Die Gefahr


Donald Trumps Charakter und seine Psychologie sind nur zu gut bekannt. Er ist narzistisch, selbstsüchtig und gierig. Mit seiner Reality-Show „The Apprentice“ gelang es ihm, sich erst landesweit bekannt und dann zu einer nationalen, charismatischen Figur zu machen. Er hat eine brillante Fähigkeit, die Gedanken seiner Anhänger:innen zu lesen und ihre Herzen zu gewinnen. Er vertritt frauenfeindliche, rassistische und fremdenfeindliche Ansichten und hat sie der amerikanischen Gesellschaft eingepflanzt und zur Norm gemacht. Er hat Ängste benutzt, um auf die Verunsicherung weißer Menschen einzugehen und latente Einstellungen und Ressentiments gegenüber Frauen, Schwarzen, LGBTQ-Menschen und Lateinamerikaner:innen auszulösen. Wenn es feindselige Haltungen nicht schon gab, dann hat er sie den Menschen eingeflößt.

Auf diese Weise hat Trump eine Massenanhängerschaft von Zig Millionen aufgebaut, etwa zwei Fünftel der amerikanischen Bevölkerung. Obwohl nicht leicht zu messen hat er die Unterstützung eines großen Prozentsatzes weißer Wähler aus der Arbeiterklasse, darunter viele Gewerkschaftsmitglieder. In den letzten acht Jahren sind Trumps persönliche politische Ansichten mit der Ideologie des weißen christlichen Nationalismus zusammengefallen. Er hat eine sehr starke Unterstützung von den weißen evangelikalen Kirchen und ihren überwiegend proletarischen Gemeinden.

Die mit ihm verbündeten rechten Organisationen wie Millers America First Legal, Kirks Turning Point USA und Michael Flynns America's Future haben Millionen von Dollar vom Bradley Impact Fund erhalten. Er hat die Unterstützung rechtsextremer Milizen und rechtsradikaler Gruppen wie den Oath Keepers und den Proud Boys gewonnen.

      
Mehr dazu
Ashley Smith: Blockieren, verschwenden, desorganisieren?. Sozialist:innen und die Wahlen 2024, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (Online-Vorabdruck).
Howie Hawkins: Sozialistische Unterstützung der Green Party, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (nur online).
Malik Miah: Harris, Trump oder keiner von beiden?. Die Wut der arabischen und muslimischen Wähler:innen wächst, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (nur online).
Dan La Botz: Faschismus-Vorwurf – verwirrend für amerikanische Wähler:innen, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (nur online). Auch bei intersoz.org.
Redaktion „Against the Current“: Wahlen und Ausweitung des Krieges, die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024) (nur online).
Manuel Kellner: Trump steht für Bürgerkrieg, intersoz.org (21.10.2024)
David Finkel: Grand Theft Election – Schwerer Wahldiebstahl?, die internationale Nr. 1/2021 (Januar/Februar 2021) (nur online).
Büro der Vierten Internationale: Trumps Niederlage bremst weltweit den Aufschwung der autoritären Rechten, die internationale Nr. 1/2021 (Januar/Februar 2021). Auch bei intersoz.org.
Dianne Feeley: Das Großkapital und die Wahlen 2020, die internationale Nr. 6/2020 (November/Dezember 2020) (nur online). Auch bei intersoz.org.
Redaktionskollektiv von „Against the Current“ (USA): Nach dem Trumpeltier, die internationale Nr. 6/2020 (November/Dezember 2020) (nur online). Auch bei intersoz.org.
Lenkungsausschuss der Solidarity: Die Linke aufbauen, um die Rechte zu besiegen, Inprekorr Nr. 6/2016 (November/Dezember 2016) (nur online).
Nationales Komitee von Solidarity : Für Jill Stein und eine unabhängige Politik, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016).
Erklärung von Solidarity: Zur Kandidatur von Bernie Sanders, Inprekorr Nr. 2/2016 (März/April 2016) (nur online).
Links von der Demokratischen Partei – die radikale Linke, Inprekorr Nr. 394/395 (September/Oktober 2004).
 

Am wichtigsten ist, dass er die Republikanische Partei vollständig übernommen, ihr mehr Disziplin verliehen und sie nach rechts gerückt hat. Er hat von oben her eine rechtsextreme politische Bewegung und Partei aufgebaut, die extrem gefährlich ist.

2016 und 2020 wurden uns die Augen darüber geöffnet, wie Trump regieren würde. Damals hatte er noch kein politisches Team und nur begrenzten Einfluss in der Republikanischen Partei. Dennoch führte er einige der seit Jahrzehnten bedeutendsten Angriffe auf die amerikanische Demokratie und die Arbeiter:innenklasse durch. Zunächst verabschiedete er 2017 eine Steuersenkung in Höhe von 2,3 Billionen Dollar, die sich dramatisch auf die Verteilung des Reichtums im Land auswirkte. Er ernannte drei rechte Richter:innen – Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett – für den Obersten Gerichtshof der USA, der dann das Urteil Roe v. Wade aufhob und damit den bundesstaatlichen Schutz des Rechts auf Abtreibung beendete. Er löste die Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaabkommen heraus.

Es gab auch viele andere Angriffe auf die Sozialprogramme und Bundesverordnungen, die dem amerikanischen Volk zugutekamen. Wir sollten nicht vergessen, dass er auch für Hunderttausende von vermeidbaren Todesfällen während der COVID-Pandemie verantwortlich war, weil er den wissenschaftlichen Informationen nicht folgte und die Menschen dazu ermutigte, angemessene Gesundheitspraktiken wie das Tragen von Masken und das Meiden von Menschenansammlungen zu ignorieren und sich dagegen zu wehren.

Im Jahr 2020 weigerte er sich anzuerkennen, die Wahl verloren zu haben, und arbeitete daran, die Auszählung der Stimmen und die Bestätigung Bidens zu hintertreiben. Am 6. Januar 2021 organisierte er einen Aufstand und versuchte einen Putsch, um sich an die Macht zu bringen. Die Gefahr bei seinem möglichen Amtsantritt im Jahr 2025 besteht darin, dass Trump und seine Berater planen, die US-Regierung grundlegend umzugestalten, ein Plan, der jetzt durch spätere Urteile des Obersten Gerichtshofs der USA erleichtert werden wird.


Die Realität im Jahr 2024


Wir alle wünschten, es gäbe eine glaubwürdige linke politische Partei der Arbeiter:innenklasse, die eine Alternative darstellt. Aber leider gibt es die nicht. Die Kandidatur von Professor Cornel West ist eine Schimäre geblieben, sie ist nie konkret geworden. Die Grünen (Green Party) vertreten viele progressive Positionen, aber ihre Kandidatin Dr. Jill Stein lehnt sich an die Positionen des russischen Diktators Wladimir Putin bei seinem Krieg gegen die Ukraine an. Dennoch könnten einige für die Grünen abstimmen wollen, um das Prinzip der unabhängigen politischen Aktion zu verteidigen, aber das kann und sollte nicht in den Swing States geschehen, wo es zu einem Sieg Trumps beitragen könnte. Sozialist:innen sollten ab jetzt bis zum November die Harris-Walz-Kandidatur unterstützen, nicht weil sie eine bedeutende progressive Alternative darstellt, sondern weil sie uns vier weitere Jahre in unserer Demokratie gibt – so wie sie ist –, um soziale und politische Bewegungen zu organisieren, um für die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten zu kämpfen und das Ideal des demokratischen Sozialismus zu propagieren.

Aus:Against the Current, Nr. 232, September/Oktober 2024
Übersetzung: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2024 (November/Dezember 2024). | Startseite | Impressum | Datenschutz